Bodo Richardt
Baut Brüssel Bürokratie auf oder ab?
Einst zog ein ehemaliger bayerischer Ministerpräsident nach Brüssel, um die Bürokratie abzubauen. 2014 konstatierte er zufrieden, er habe „mehr erreicht, als ich mir vorstellen konnte“. Im Jahresbericht 2017 Bessere Rechtsetzung berichtet die Bundesregierung, dass die 2015 eingeführte Bürokratiebremse die Wirtschaft bis 2017 bei nationalen Vorhaben um insgesamt 1,9 Milliarden Euro entlastet hat. Dagegen hätte der Erfüllungsaufwand, der der Wirtschaft aus der Umsetzung von EU-Richtlinien entstand, deutlich zugenommen1. Baut nun Brüssel Bürokratie auf oder ab?
Es ist unzweifelhaft, dass die Harmonisierung der Rechtssysteme in der EU große Vorteile gerade für kleine und mittlere Unternehmen gebracht hat, die mittlerweile überwiegend international tätig sind. Lassen Sie uns aber einen Blick auf das Berufs- und Steuerrecht werfen. Der Einfluss von Europarecht auf die Regulierung und Ausübung der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe ist nicht erst seit der Veröffentlichung des EU-Dienstleistungspakets offensichtlich: Datenschutz, Verbraucherschutz, die Mehrwertsteuerrichtlinie oder aber das Freizügigkeitsrecht haben ihre Spuren in berufsreglementierenden Maßnahmen sowie im materiellen Steuerrecht hinterlassen.
Die Einführung einer EU-Dienstleistungskarte war am 10.01.2017 als Kernelement des EU-Dienstleistungspakets der EU-Kommission vorgestellt worden und hätte eine erhebliche Auswirkung auf die Freien Berufe gehabt. Die für den Dienstleister freiwillige EU-Dienstleistungskarte hätte die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung und die Begründung einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat erleichtern sollen. Eine „koordinierende Behörde“ im Herkunftsstaat hätte als sog. „One-Stop Shop“ fungiert, und der Dienstleister hätte bei dieser Behörde die EU-Dienstleistungskarte beantragen und erforderliche Nachweise dort abliefern müssen. Die Koordination, Prüfung und Erteilung der EU-Dienstleistungskarte wäre im Verfahren zwischen den koordinierenden Behörden des Herkunfts- und des Ziellandes durchgeführt worden.
DStV, EFAA und andere Berufsorganisationen haben bereits frühzeitig den Richtlinien- und Verordnungstext kritisiert, da diese EU-Dienstleistungskarte zu einem Bürokratie-Monster hätte ausufern können. So enthielt der Richtlinienentwurf in vielen Punkten Verfahrensvorgaben, die nicht praxistauglich waren, teilweise sogar den verlässlichen Rechtsverkehr gefährdet und so zu mehr Bürokratie und einer Herabsetzung der bestehenden Qualitätsstandards auf nationaler Ebene geführt hätten. Besonders problematisch war, dass der Richtlinienentwurf das Herkunftsland-Prinzip durch die Hintertür eingeführt hätte. Die Behörde im Herkunftsland hätte die Dienstleistungskarte ausgestellt und so hätten im Einzelfall berufsrechtliche Anforderungen im Zielland ausgehebelt werden können, sofern die Behörde im Zielland nicht rechtzeitig interveniert hätte.
Im Übrigen verfügt das Europarecht mit der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EC bereits über einen Mechanismus zur Verbesserung des freien Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt. Die Dienstleistungs- und die Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie sehen bereits heute einheitliche Kontaktpunkte und ein einheitliches Verfahren für den Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten vor.
Es ist völlig unstrittig, dass Verwaltungserleichterungen und der damit erzielbare Bürokratieabbau besonders für kleine und mittlere Unternehmen und Kanzleien sehr positiv sind. Aber die Ausführung des Richtlinienentwurfs zur EU-Dienstleistungskarte war aus deutscher Sicht mangelhaft und wurde nach viel Überzeugungsarbeit zu Recht Ende März 2018 im Europaparlament gestoppt. In diesem Fall konnte ein unnötiger Bürokratieaufbau in Brüssel verhindert werden. In den meisten Fällen geht es aber nicht darum, für oder gegen Regulierung zu sein, sondern für eine bessere Regulierung2. Und dafür engagieren wir uns in Brüssel.
Information
Als Dachverband von 16 nationalen Kammern und Verbänden, darunter der DStV, steht die EFAA für mehr als 370.000 vorwiegend in KMPs tätige Berufsangehörige ein. Weitere Informationen unter www.efaa.com
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Der Autor dankt Dr. Jan Trommer, LL.M., DStV-Europareferent, für seine Unterstützung.
1 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/Buerokratieabbau/2018/2018-05-15-pm-jahresbericht-2017.html. Allerdings fallen Belastungen, die auf EU-Vorgaben beruhen, nicht unter die Bürokratiebremse!
2 siehe z. B.