Digitale Strategie dringend benötigt

Digitale Strategie dringend benötigt

EU-Digitalisierungskommissar Günther Oettinger über die Herausforderungen des digitalen Wandels für Steuerberater

Von Heiko Haffmans

Auf dem Deutschen Steuerberatertag in Wien im Oktober hielt EU-Digitalisierungskommissar Günther Oettinger eine vielbeachtete Rede über die Herausforderungen, die die digitale Revolution an Europa stellt. Im Interview mit dem LSWB-Magazin konkretisiert er seine Forderungen nach einer digitalen Strategie für Deutschland und erklärt, wie sich Steuerberater für das 21. Jahrhundert fit machen können.

LSWB-Magazin: Auf dem Deutschen Steuerberatertag in Wien haben Sie die „digitale Unterlegenheit“ als eine der größten Schwächen der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Was genau meinen Sie damit?

Günther Oettinger: Damit ist zum einen gemeint, dass der Ausbau von Breitband zu langsam voranschreitet. Zugang zu schnellem, zuverlässigem Internet sollte heute selbstverständlich sein. Das ist
aber in Deutschland mancherorts noch nicht der Fall. Breitband ist eine der Grundlagen der digitalisierten Wirtschaft – unentbehrlich für die Einführung und Nutzung moderner Software, die Verarbeitung großer Datenmengen, aber auch die Förderung der Industrie 4.0. Zudem werden durch das „Internet der Dinge“ weitere Datenströme hinzukommen.
Zum anderen sollte Deutschland digitale Fähigkeiten verstärkt fördern. Es wird inzwischen viel getan mit dem Mint-Programm, aber es existiert immer noch eine Diskrepanz zwischen dem, „was die Unternehmer brauchen“ und dem, „was die Schulen lehren“. Nicht jeder Schüler muss jetzt Programmieren lernen, aber manche Schüler verlassen die Schule, ohne richtig mit den grundlegendsten Computerprogrammen wie Word oder Excel umgehen zu können. Und das sind Fähigkeiten, die heute selbstverständlich von den Arbeitgebern vorausgesetzt werden.

LSWB-Magazin: Sie fordern in diesem Zusammenhang eine digitale Strategie. Wie könnte diese aussehen?

Oettinger: Die „Digitale Agenda für Europa“ ist eine der sieben Säulen der Europa-Strategie 2020 zur Förderung des Wirtschaftswachstums in der EU. Die Digitale Agenda fördert die bessere Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Innovation und Fortschritt und generiert wirtschaftliches, nachhaltiges und inklusives Wachstum. Die folgenden Punkte sollen dazu beitragen: Einführung eines digitalen Binnenmarkts, Verbesserung der Standards und der Interoperabilität, Stärkung der Online-Sicherheit und des Vertrauens in Online-Dienste, Förderung von schnellem und ultraschnellem Internetzugang für alle, Investitionen in Forschung und Entwicklung, Unterstützung von „digital literacy“, digitalen Fähigkeiten und Inklusion und Förderung IKTgestützter Vorteile für die europäische Gesellschaft. EU-Digitalisierungskommissar Günther Oettinger über die Herausforderungen des digitalen Wandels für Steuerberater

LSWB-Magazin: Für Steuerberater sind Datenschutz und Mandantengeheimnis Grundpfeiler ihrer Arbeit. Gibt es Möglichkeiten, das Thema Datenschutz und Big-Data- Strategie zu versöhnen?

Oettinger: Wenn sich die Unternehmen an bestimmte Grundsätze halten, ist dies sehr wohl möglich. Ich denke dabei an die Rechtmäßigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten. Daneben sollten eine Einwilligungserklärung der Betroffenen eingeholt und personenbezogene Daten beim Betroffenen direkt erhoben werden. Klar ist auch, dass diese Daten nur für den anfänglich genannten Zweck genutzt werden sollten, damit der Betroffene sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben kann. Gut wäre es auch, wenn soweit wie möglich anonymisierte Daten verwendet werden. Nutzer sollten dabei die Möglichkeit haben, Daten zu berichtigen, zu löschen, sperren zu lassen und Einwilligungserklärungen zu widerrufen. Ein Datenschutzbeauftragter sollte zudem für die ordnungsgemäße Handhabung von personenbezogenen Daten verantwortlich sein. Datensicherheit sollte oberste Priorität haben, und Datenpannen sollten den zuständigen Aufsichtsbehörden unverzüglich gemeldet werden.

LSWB-Magazin: Wie wird der digitale Wandel die Berufswelt der Steuerberater verändern?

Oettinger: Viele KMU investieren zunehmend in die Digitalisierung der Arbeitsprozesse, aber schicken ihrem Steuerberater immer noch Papierunterlagen, Excel-Tabellen oder Exportdokumente aus unternehmenseigenen Softwareprogrammen zu. Dies kostet Zeit und ist fehleranfällig. Durch die Digitalisierung könnten Steuerberater ein besseres Gesamtbild eines Unternehmens erlangen und so ihre Beratung weiter verbessern. Denn die Arbeit der Steuerberater wird sich vermutlich mehr zu einer beratenden Rolle entwickeln, wenn die relevanten technischen Unternehmensdaten elektronisch und automatisch erfasst und verarbeitet werden. Dadurch ist es wichtig, auf dem neuesten Stand der technischen Entwicklung zu bleiben und die Servicequalität zu verbessern. Zugang zu Unternehmensdaten direkt und in Echtzeit könnten helfen, neue Beratungsleistungen hinsichtlich Unternehmens- und Finanzentscheidung anbieten zu können.

LSWB-Magazin: Steuerberater sehen die Digitalisierung auch als Chance, um Personalengpässe abzumildern, die durch den demografischen Wandel entstehen. Ist diese Hoffnung berechtigt?

Oettinger: Verbesserte Softwarelösungen könnten die Arbeit der Steuerberater vereinfachen und somit den Pool geeigneter Personen für diesen Beruf erweitern. Softwarelösungen könnten die Erfassung aller relevanten Daten beschleunigen und somit Aufgaben übernehmen und Auswertungen anbieten. Sei es durch die Eingabe von Daten online, das Hochladen von Dokumenten oder die Nutzung eines einheitlichen Softwareprogramms, welches die Unternehmensdaten automatisch erfasst und dem Steuerberater zugänglich macht. Schlüsseltechnologie: Das Smartphone ist das zentrale Steuerungsinstrument im 21. Jahrhundert. Die Wertschöpfung der Milliardenindustrie findet aber mangels digitaler Strategie – derzeit – nicht in Deutschland statt

LSWB-Magazin: In Wien lobten Sie die Gründung der genossenschaftlichen Datev als „glänzende Idee“: In wieweit kann das Unternehmen Vorbild für andere Wirtschaftszweige sein?

Oettinger: Datev ist ein Vorbild für andere Wirtschaftszweige in dem Sinne, dass es eine Nische besetzt hat und IT- und Softwarelösungen speziell für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalte und Unternehmen anbietet. Dadurch kennt Datev die Bedürfnisse seiner Kunden genau und kann ihnen die passenden Produkte liefern.
Zudem ist der hohe Sicherheitsstandard ein Kernaspekt des Unternehmens, und Cyber-Security wird immer wichtiger werden.

LSWB-Magazin: Abschließend haben Sie die Möglichkeit, sich als Mitglied der Europäischen Kommission an den Berufsstand zu wenden: Was erwarten Sie – vor dem Hintergrund der skizzierten Herausforderungen – von den deutschen Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern?

Oettinger: Ich erwarte von den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern Aufgeschlossenheit gegenüber dem digitalen Wandel und den Möglichkeiten, die er bietet. Dazu gehören auch Investitionen in IT-Sicherheit, um die Wahrung der Datenschutzvorgaben und der Privatsphäre ihrer Klienten weiterhin zu garantieren.

LSWB-Magazin: Vielen Dank für das Interview.