
Foto: Datev eG
Gigantische Chance
Interview mit Eckhard Schwarzer, Chief Markets Officer (CMO) der Datev eG, anlässlich seines Abschieds von der Datev
LSWB-Magazin: Herr Schwarzer, 35 Jahre Datev, 35 Jahre Berufsstand. Aus dieser Erfahrung heraus: Wie stellen Sie sich die Beziehung zwischen Kanzlei und Mandant in zehn Jahren vor?
Eckhard Schwarzer: Der Berufsstand hat sich in den vergangenen 35 Jahren sehr stark gewandelt, vor allem im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Mandanten. In den jüngsten 15 Jahren ist es in hohem Maße gelungen, die Prozesse zwischen Unternehmen und Kanzleien zu digitalisieren und zu automatisieren. Das wird sich weiter fortsetzen, denn immer mehr läuft über digitale Plattformen. In Zukunft werden die meisten Unternehmen ihren Steuerberater quasi als ihren outgesourcten CFO ansehen. Im Idealfall kümmert sich dieser um all das, was der Gesetzgeber hinsichtlich kaufmännischer Prozesse fordert, sowie um die finanziellen und betriebswirtschaftlichen Belange, die den Unternehmern oft lästig sind. Und die Steuerberater haben ihre eigene IT-Genossenschaft im Hintergrund, die die Zusammenarbeit digital unterstützt und darüber hinaus in ihrem Auftrag all das erledigt, was sie qua Steuerberatungsgesetz selber nicht machen dürfen oder vielleicht auch nicht machen möchten. Die Steuerberater werden die zentrale Vertrauensperson, die Compliance-Instanz für die kaufmännischen Themen ihrer Mandanten. Aber: Der Berufsstand ist davon leider immer noch etliche Meter entfernt, um das mal vorsichtig auszudrücken. Und es wird bestimmt auch einige geben, die sich dieser Entwicklung verweigern. Diese Verweigerer werden den Wandel nicht überleben, weil ihnen irgendwann die zunehmende Automatisierung klassischer Deklarationsaufgaben schlicht und ergreifend den Pendelordner entzieht und die neue Generation junger Unternehmer online gewonnen werden will.
LSWB-Magazin: Die Corona-Krise ist für den Berufsstand eine harte Belastungsprobe. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen?
Schwarzer: Da sehe ich drei Aspekte. Punkt eins: Die größte Herausforderung für den organisierten Berufsstand in den Verbänden und Kammern wird sein, diesen unglaublichen Vertrauensbonus, den die Bundesregierung den Steuerberatern als Organ der Steuerrechtspflege in der Bekämpfung eines wirtschaftlichen Desasters gegeben hat, auszubauen und zu nutzen. Das ist eine gigantische Chance. Punkt zwei: Der Berufsstand sollte das enorme Momentum nutzen, das die Pandemie im Mittelstand in Richtung Digitalisierung ausgelöst hat. Auch, um die Mandanten über kollaborative Prozessgestaltung digital an die Kanzlei zu binden. Punkt drei: Die Gefahr ist groß, dass der EuGH bestimmte Vorbehaltstätigkeiten nicht mehr als EU-konform ansieht und diese somit wegfallen. Dadurch können für den Berufsstand ganz neue Wettbewerbssituationen im Markt entstehen. Deshalb ist es schon heute wichtig, so viele Mandanten wie möglich an die Kanzlei zu binden. Aus Umfragen wissen wir, dass eine digitalisierte Zusammenarbeit dabei eine enorm wichtige Rolle spielt. Aus diesen drei Aspekten ergeben sich Chancen, die es für den Berufsstand so schnell nicht wieder geben wird.
LSWB-Magazin: Im Jahr 2008 haben Sie die Aufgabe des Vorstands für Service und Vertrieb von Siegbert Rudolph und ab 2014 auch den Posten des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden übernommen. Von Anfang an waren Sie in ständigem Austausch mit dem Berufsstand. Welche Rolle spielte der LSWB dabei?
Schwarzer: Die Beziehung zum LSWB war und ist auch durch die räumliche Nähe zu den jeweiligen Protagonisten eine enge. Im Tagesgeschäft bei Veranstaltungen und Weiterbildungsangeboten hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt. Der LSWB war und ist auch immer Ansprechpartner, wenn es darum geht, vor wichtigen Entscheidungen die Meinung des Berufsstands einzuholen. Das war nicht nur bei den Satzungsänderungen 2005 und 2008 so, sondern auch bei der jüngsten 2019. Wir haben uns dazu sehr intensiv mit dem LSBW ausgetauscht, aber natürlich auch mit anderen Regionalverbänden und dem DStV.
LSWB-Magazin: In einem LSWB-Interview mit Ihnen und Siegbert Rudolph zur Staffelübergabe fielen damals Begriffe wie Karteikarten, MS-DOS und Commodore. Die
zentralen technischen Themen, mit denen sich die Datev heute beschäftigt, sind Blockchain, KI, Data Analytics, Plattform-Ökonomie, Cloud. Was kommt da auf die Kanzleien zu?
Schwarzer: Wenn Sie in 13 Jahren ein ähnliches Interview mit einem meiner Nachfolger führen, werden all diese Begriffe vielleicht auch in die Mottenkiste gewandert sein, zumindest terminologisch. Aber genau das ist das Thema: die Geschwindigkeit dieser Veränderung. Das erste iPhone war damals gerade erst auf den Markt gekommen. Die Kanzleien müssen sich mit diesen Themen auseinandersetzen, sie müssen ein Grundverständnis entwickeln, aber nicht selbst zu IT-Profis werden. Hierfür haben sie ja ihre Datev. Zudem sehe ich auch die Verbände in der Verantwortung, zur Digitalkompetenz im breiten Berufsstand beizutragen; und am besten gemeinsam mit uns.
LSWB-Magazin: Zum 1. Juli werden Sie Ihren Posten als CMO an den bisherigen CTO Prof. Dr. Peter Krug übergeben. Ist das ein Hinweis darauf, dass technische Fragen bei Datev zukünftig auch im Service und in der Vermarktung eine stärkere Rolle spielen werden?
Schwarzer: Interessante Idee, aber eigentlich spielen IT-Themen in allen Vorstandsressorts der Datev eine wichtige Rolle. Tatsächlich ist Peter Krug die ideale Besetzung für meine Nachfolge. In früheren Positionen war er in der Entwicklung tätig, aber vielen Mitgliedern ist er auch noch als Vertriebschef
in Erinnerung. Er hat eine enorme Kundenorientierung und eine herausragende Fähigkeit, mit Kunden zu kommunizieren.
LSWB-Magazin: Auch Ihr Amt als Vorsitzender der Datev-Stiftung Zukunft wird Prof. Dr. Krug übernehmen. Welche Aufgaben hat die Stiftung und was konnte sie bereits bewirken?
Schwarzer: Die Motivation für die Gründung war: Wir wollten unseren Mitgliedern zum 50-jährigen Jubiläum der Datev nicht eine Kiste Wein oder ähnliches bieten, sondern etwas für die Zukunft. Da kam die Idee, eine Stiftung zu gründen, die sich genau diesem Ziel verschreibt – an der Schnittstelle von Berufsstand, Genossenschaft und IT. Seitdem hat sich das in einer Vielzahl an spannenden Förderkooperationen manifestiert. Man kann sagen: Die Datev eG ist der Treiber im Berufsstand für die praktischen IT-Themen, sie ist der digitale Maschinenraum. Die Datev-Stiftung betrachtet eher den Menschen in einer digital vernetzten Gesellschaft. Die beiden sind zwei Seiten einer Medaille.
LSWB-Magazin: Sie sind auch Vizepräsident des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands DGRV. Um es provokativ zu formulieren, ist die Genossenschaft noch die richtige Unternehmensform in einer Zeit, in der sich alles so dynamisch verändert?
Schwarzer: Ja, ich bleibe der genossenschaftlichen Familie erhalten, die Datev kriegt mich also nicht ganz los (lacht). Aber im Ernst: Ich glaube, wir erleben gerade eine Renaissance der Genossenschaften! Und warum da nicht mal groß denken? Beim europäischen Projekt GAIA-X wird derzeit ausgelotet, wie man sicherstellen kann, dass die Datenmengen DSGVO-konform und rechtssicher hinterlegt und verarbeitet werden können. Eine Option ist, die Verwaltung der Daten einem sogenannten Treuhänder zu übertragen. Und die ideale Rechtsform dafür wäre, finde ich, die der Genossenschaft. Sie ist ein in Europa erprobtes Rechtsmodell, das nicht am Shareholder-Value orientiert arbeitet und feindliche Übernahmen verhindert.
LSWB-Magazin: Im genossenschaftlichen Verbund werden Sie zukünftig vor allem als Präsident des Mittelstandsverbunds – ZGV aktiv sein. Welche Entwicklungen sehen Sie in der mittelständischen Wirtschaft auch in Verbindung mit dem Berufsstand?
Schwarzer: Es gibt in Europa kaum ein Land, in dem ein so enges Vertrauensverhältnis zwischen dem Berufsstand und den Mandanten besteht und in dem die mittelständische Wirtschaft so ausdifferenziert ist wie in Deutschland. Auch die Mitglieder des Mittelstandsverbundes sind sehr heterogen. Wir haben Genossenschaften und Verbundgruppen aus dem Handel, dem Handwerk, Dienstleister sowie Freiberufler aus unterschiedlichsten Branchen, die die Interessen von über 230.000 kleinen und mittleren Unternehmen abbilden – weit überwiegend Mandanten unserer Datev-Mitglieder, mit unterschiedlicher Affinität zu digitalen Themen.
Fakt ist, für alle KMU in Deutschland gilt dasselbe wie für den Berufsstand: Unternehmen, die digital gut aufgestellt sind, kommen nachweisbar deutlich besser durch die aktuelle Krise, als jene, die jetzt erst anfangen, darüber nachzudenken. Das von der Pandemie ausgelöste Digitalisierungsmomentum muss jetzt genutzt und in die Zukunft getragen werden. Auch das ist Auftrag unseres Verbandes.
LSWB-Magazin: Was machen Sie denn, wenn Sie demnächst mehr Zeit haben? Gehen Sie Golfen? Oder auf die Jagd?
Schwarzer: Golfen habe ich mal probiert, das war gar nichts für mich. Ich werde mich erstmal der Ausbildung meines Hundes widmen. Der muss im Herbst die jagdliche Brauchbarkeitsprüfung absolvieren. Und ich bleibe ja durch meine diversen Ämter auch künftig den Mittelstandsthemen treu, mit vielen Anknüpfungspunkten zur Datev. Vieles läuft bereits digital ab. Ich muss sicherlich nicht ständig in Berlin sein. Wer weiß – vielleicht nehme ich mal vom Hochsitz aus an einer Videokonferenz teil.