Foto: ilkercelik/adobe stock

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Das Insolvenzverfahren

Das Wichtigste zum Eröffnungsverfahren

Von Dipl.-Finanzökonom Enrico-Karl Heim, Insolvenz- und Nachlassverwalter, HEIM Wirtschaftskanzlei für Insolvenzverwaltung und Sanierung

Die derzeitige wirtschaftliche Situation gibt Anlass zu der Befürchtung, dass sich die Zahl der Insolvenzen deutlich erhöht. Daher beleuchtet dieser Artikel die wesentlichen Abschnitte des Eröffnungsverfahrens. Der Grundgedanke des Insolvenzverfahrens ist, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (§ 1 InsO).

I. Insolvenzfähigkeit

Jedes Insolvenzverfahren richtet sich gegen einen insolvenzfähigen Schuldner als Träger der zu verwertenden Vermögensmasse. Die Insolvenzfähigkeit ist in den §§ 11 und 12 InsO geregelt. Ein Insolvenzverfahren kann über das Vermögen jeder natürlichen oder juristischen Person wie auch über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit eröffnet werden.

II. Insolvenzgründe

Ein Insolvenzverfahren kann nur eröffnet werden, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt (§ 16 InsO). Eröffnungsgründe sind: Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 InsO).

ahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. In § 18 InsO hat der Gesetzgeber als Insolvenzgrund auch die drohende Zahlungsunfähigkeit anerkannt. Der Schuldner soll damit in einem frühen Stadium, in dem entsprechende Sanierungsbemühungen noch Aussicht auf Erfolg haben, ein Insolvenzverfahren einleiten können. Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen.

Ein weiterer Insolvenzgrund ist die Überschuldung. Ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung kann nur von juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen keine natürliche Person unbegrenzt haftet, gestellt werden. Eine Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (§ 19 Abs. 2 InsO), es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Der Überschuldungsbegriff wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes vom 13.10.2008 geändert. Auch bei einer Überschuldung besteht keine Insolvenzantragspflicht, wenn innerhalb eines betriebswirtschaftlich überschaubaren Zeitraumes (12–24 Monate) die Ertragsfähigkeit des Unternehmens ausreicht, um die fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen:

§ 19 InsO lautet: (2) Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die Notwendigkeit der Bewertung der Vermögensgegenstände des überschuldeten Schuldners wurde entfernt.

Überschuldung liegt jetzt also nicht mehr vor, wenn die Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit wahrscheinlich ist, ungeachtet der Bewertung des Vermögens. Dies kann eine weitreichende Bedeutung haben. Ein Unternehmen muss trotz rechnerischer Überschuldung keinen Insolvenzantrag stellen, wenn es mittelfristig seine laufenden Zahlungen voraussichtlich leisten kann. Es kommt also darauf an, ob die sogenannte Fortführungsprognose positiv ausfällt, beispielsweise, weil ein Betrieb den Zuschlag für einen Großauftrag erhalten hat und damit seine Zahlungsfähigkeit über den gesamten Prognosezeitraum gewährleistet ist.

Die neue Rechtslage wirkt als Entbürokratisierung und Erleichterung. Sie soll Insolvenzen nur aufgrund der Finanzmarktkrise mindestens unwahrscheinlicher machen.

III. Das Insolvenzantragsrecht

Ein Insolvenzverfahren wird nach § 13 Abs. 1 InsO nur auf Antrag eröffnet. Antragsberechtigt ist der Schuldner und jeder spätere Insolvenzgläubiger sowie die in § 39 InsO genannten nachrangigen Gläubiger. Antragsberechtigt ist bei juristischen Personen jedes Mitglied des Vertretungsorgans, sowie im Falle der Führungslosigkeit, jeder Gesellschafter.

Der Insolvenzantrag kann formlos – auch mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle – gestellt werden. Der Gläubiger hat anders als der Schuldner seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft zu machen (§ 14 Abs. 1 InsO). Sieht der Insolvenzrichter den Antrag als zulässig an, ist der Schuldner zwingend von Amts wegen anzuhören
(§ 14 Abs. 2 InsO).

IV. Insolvenzantragspflichten

Antragsverpflichtet sind bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes binnen drei Wochen die Organe juristischer Personen, Geschäftsführer und Liquidatoren einer GmbH, Vorstandsmitglieder und Abwickler einer AG und KGaA, Vorstandsmitglieder und Liquidatoren einer eingetragenen Genossenschaft, Vorstand eines rechtsfähigen Vereins, bei Personengesellschaften ohne natürliche Personen als persönlich haftende Gesellschaft der persönlich haftende Gesellschafter. Im Fall der Führungslosigkeit einer GmbH ist jeder Gesellschafter, bei einer AG und Genossenschaft jeder Aufsichtsrat insolvenzantragspflichtig (§ 15a InsO).

V. Sicherungsmaßnahmen des Gerichts

Um bis zur Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine den Gläubigern nachteilige Veränderung über die Vermögenslage des Schuldners zu verhindern, sieht die Insolvenzordnung in § 21 InsO vor, dass das Insolvenzgericht folgende Sicherungsmaßnahmen anordnen kann:

  • Das Insolvenzgericht kann einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen.
  • Das Gericht kann dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
  • Das Gericht kann Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilig einstellen.

Darüber hinaus kann das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen oder nach Anhörung in Haft nehmen lassen. Diese Sicherungsmaßnahmen beinhalten insbesondere die Bestellung eines sogenannten vorläufigen Insolvenzverwalters. Dieser vorläufige Insolvenzverwalter prüft, ob tatsächlich der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt. Der vorläufige Insolvenzverwalter prüft darüber hinaus, ob ausreichend Masse vorhanden ist, die die Kosten des Verfahrens deckt. Bei Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens kann das Gericht gegenüber dem Schuldner ein Verfügungsverbot anordnen. In der Konsequenz kann dann der Schuldner nicht mehr über sein Vermögen verfügen, sondern nur noch der vorläufige Insolvenzverwalter.

In den meisten Fällen wird bei Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens das Gericht einen sogenannten Zustimmungsvorbehalt anordnen. Die Anordnung des Zustimmungsvorbehaltes bedeutet, dass der Schuldner ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters nicht mehr verfügen kann. Geschäfte des Schuldners bedürfen damit der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters.

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Haftungsgefahr Insolvenzrecht und Insolvenzsteuerrecht

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Eine Übersicht zu den aktuellen Seminaren von Enrico-Karl Heim finden Sie unter: lswb-akademie.bayern/heim