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Digitalisierung aber nicht um ihrer selbst willen
Ende-zu-Ende-Digitalisierung
„Die Digitalisierung“ ist der Trend des 21. Jahrhunderts und nicht erst durch Zwänge, Erfordernisse oder Verantwortung im Rahmen der Pandemie ist das Thema in der Steuerberatung omnipräsent. Anders als manche Außenstehende vielleicht vermuten, wird in der Steuerberaterbranche schon seit Jahrzehnten fleißig digitalisiert – mehr als in manch anderer Branche: Buchungsmaschinen wurden zu PCs und Software, Steuerformulare in das elektronische Meldewesen überführt und Belege werden zunehmend digitalisiert verarbeitet. Was sich über die Jahre verändert hat, ist die rasante Geschwindigkeit der Entwicklungen. Darauf müssen sich Kanzleien und vor allem Mitarbeiter einstellen und aktuell steht die weitere Digitalisierung in der Zusammenarbeit mit dem Mandanten auf der Agenda vieler Kanzleien.
Dieses Thema möchte ich genauer beleuchten: Nur weil der Steuerberater Belege der Finanz- und Lohnbuchhaltung nun per Mail oder über Cloudspeicher und nicht per Post erhält, gibt es noch lange keinen Effizienzgewinn, wenn er Daten nach wie vor manuell in einer Software erfasst.
Digitalisierung nicht der Digitalisierung wegen
Die Digitalisierung eines analogen Prozesses um der Digitalisierung Willen führt dazu, dass der Anwender analoge Prozesse in „digital-analoge“ Prozesse umwandelt. Dabei bleiben der Charme und der Effizienzgewinn der Digitalisierung auf der Strecke. Die Frage, die sich Kanzleien deshalb stellen sollten, lautet: Wie digitalisiere ich richtig, um meine Produktivität zu steigern, Kosten zu sparen und bessere Ergebnisse zu erzielen?
Die Antwort darauf: Kanzleien dürfen nicht mehr nur Teilprozesse digitalisieren, sondern den gesamten Prozess – Stichwort: „Ende-zu-Ende-Digitalisierung“.
„Ende-zu-Ende-Digitalisierung“ heißt in der Praxis: Die Digitalisierung findet dort statt, wo die Daten entstehen und sie muss dort ihr Ende finden, wo sie verarbeitet werden. Es versteht sich von selbst, dass dieser Prozess optimalerweise mit einem sehr hohen Automatisierungsgrad verbunden ist.
Die eigene Kanzlei auf die Digitalisierung vorbereiten
Der erste Schritt ist es, die eigene Kanzlei so weit in den Prozessen zu strukturieren und zu digitalisieren, dass der Steuerberater bereits für die (künftigen) Anforderungen der Mandanten gewappnet ist. Ein wichtiger Hinweis an dieser Stelle: Das ist nicht erst in zehn Jahren der Fall, denn die Angehörigen der „Generation-Y“ sind bereits als Digital Natives aufgewachsen und erwarten schon heute solche Angebote.
Ausgangspunkt der eigenen Digitalisierung sind Effizienzgewinne in den Bereichen, die den größten Arbeitsaufwand verursachen. Typischerweise sind das die Buchhaltungen und hier gibt es großes Potenzial: Es gilt, Belege digital durch den Mandanten einliefern zu lassen oder diese durch Scannen in der Kanzlei zu digitalisieren.
Ein Beispiel für Ende-zu-Ende-Digitalisierung aus dem Kanzleialltag
Kommen wir auf das Beispiel der Belegeinreichung zurück, um die Anwendung der Ende-zu-Ende-Digitalisierung in der Praxis zu demonstrieren. Zunächst müssen Steuerberater die Situation beim Mandanten beleuchten: Kann der Mandant seine Belege vielleicht bereits selbst scannen? Oder hat der Mandant eine Software für die Erfassung von Belegen für die eigene Finanz- und Lohnbuchhaltung und kann sogar schon Daten strukturiert zur Verfügung stellen? Werden bereits digital vorliegende Belege (per E-Mail oder in einem Portal) automatisch und strukturiert gesammelt? Je nach Situation gilt es, den Digitalisierungsprozess den Gegebenheiten des Mandanten anzupassen; denn Digitalisierung in einem „Ende-zu-Ende-Prozess“ ist keine „One-size-fits-all“-Lösung. Stattdessen steht immer eine sinnvolle Zusammenarbeit von zunehmend vernetzten Systemen im Vordergrund. Das gilt umso mehr in der Transformationsphase, bei der manche Prozesse noch manuell und andere bereits digital erfolgen.
Genauso wie es zu wenig Digitalisierung gibt, kann es „zu viel“ Digitalisierung beim Mandanten geben: Ist dieser bereits seit längerem von Begriffen wie „Industrie 4.0“ geprägt, stehen Steuerberater möglicherweise vor einem Digitalisierungschaos, da sie zwar digitalisieren möchten, aber nicht wissen, wo sie am besten anfangen.
Beim Thema Buchhaltung gibt es viele Systeme auf dem Markt, die das digitale Buchen des Belegs mit automatisierter Auslesung der Beleginhalte und der Erstellung von Buchungsvorschlägen in der digitalen Buchhaltung unterstützen.
Durch den automatisierten Abruf von Bankumsätzen und dem gleichzeitigen Ausgleich offener Posten können Kanzleien den manuellen Erfassungsaufwand auf ein Minimum reduzieren. Abgerundet wird dieses Vorgehen durch die digitale Bereitstellung der Auswertungen.
Somit wäre der Prozess der „Ende-zu-Ende-Digitalisierung“ von der Einlieferung der Daten in die Kanzlei, über die digitale Weiterverarbeitung und der anschließenden Bereitstellung von Auswertungen in diesem digitalen Prozess abgebildet. Das „Aber“: Um diesen Prozess so abbilden zu können, muss die Kanzlei von vornherein dafür bereit sein, was bedeutet, althergebrachte Gewohnheiten zu durchbrechen und digital gestützte Prozesse umzusetzen.
Fazit
Zunächst: Digitalisierung ist immer Chefsache, jedoch ist die Digitalisierung nicht ohne die Mitarbeiter zu stemmen. Der erste Schritt zu einer erfolgreichen Digitalisierungsstrategie ist es, die Mitarbeiter zu überzeugen und Vorteile aufzuzeigen. Sprich, die eigene Kanzlei für die Digitalisierung zu positionieren.
Ist die Kanzlei bereit, so beginnt der Prozess der Analyse und die flexible Gestaltung der eigenen Digitalisierungsstrategie. Hier muss sich der Mandant einbringen, was der Fall sein wird, wenn er seine Vorteile darin sieht.
Um „Ende-zu-Ende-Digitalisierung“ zu betreiben, müssen sich also die eigenen Prozesse und die Mandantenprozesse annähern, denn letztendlich gelingt eine erfolgreiche vollumfängliche Digitalisierungsstrategie nicht allein mit Tools, sondern mit angepassten Prozessen, die beim Mandanten beginnen. Diesen zu überzeugen ist oft der schwierigste Teil, da man die eigene Strategie nicht einfach dem Mandanten überstülpen kann – was häufig der Fehler der Digitalisierungsabsicht ist. Auch wenn die Digitalisierung in der eigenen Kanzlei steht, ist eines klar: „Der Köder muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch“.