Foto: MQ-Illustrations/adobe stock

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Ein Konzept mit Zukunft?

Der Kanzleiwert als wesentlicher Bestandteil der Altersvorsorge

Von Stefan Dreßler, Wirtschaftsprüfer, LSWB-Vorstand und Vorsitzender des Ausschusses Betriebswirtschaft

Die Frage aus der Überschrift kann auch noch kritischer formuliert werden – sind Steuerberatungskanzleien heute noch etwas wert? Bisher ist die spätere Realisation eines immateriellen Kanzleiwerts etwas, von dem jeder selbstständige Steuerberater nahezu zweifelsfrei ausgehen konnte. Ist dies noch realistisch?

Woher kommen die Zweifel? Noch immer ist dieser spannende Beruf ein wichtiger Teil unseres Rechtssystems. Durch die Bemühungen der Bundessteuerberaterkammer und des DStV wurden Steuerberater sogar per gesetzlicher Definition als unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege offiziell aufgewertet.1

Der Druck kommt von zwei Seiten

Allerdings stehen Kanzleien derzeit vor allem stark unter Druck. Die Digitalisierung und zunehmende Compliance-Anforderungen setzen enger werdende Rahmenbedingungen für die Berufsausübung. Dies wird in Zukunft unmittelbare Auswirkungen auf die Leistungserbringung haben – denkt man nur an die bereits im Koalitionsvertrag verankerten Bestrebung zur Einführung eines Umsatzsteuer-Clearing-Systems.

Auf der anderen Seite fehlt den meisten Kanzleien heute Personal, um die angefragten und teilweise bereits zugesagten Leistungen anbieten zu können. Bei der IFO-Konjunkturumfrage aus dem Januar 2023 haben insgesamt 75,20 % der Kanzleien angegeben, offene Stellen nicht nachbesetzen zu können. Dies hat zur Folge, dass insgesamt weniger Arbeit erledigt werden kann, teilweise geht der entstehende Zeitdruck auch zu Lasten der Qualität, Haftungsrisiken erhöhen sich.

Dabei ist die heutige Situation nicht überraschend entstanden.

Bereits seit einigen Jahren steckt die Steuerberatungsbranche in einem massiven Strukturwandel. Die Bundessteuerberaterkammer hat schon im Jahr 2013 mit dem Thesenpapier „Steuerberatung 2020“2 auf die wesentlichen Veränderungen aufmerksam gemacht und den Kanzleien Impulse gegeben, nachhaltig erfolgreich zu sein.

Auswirkungen auf den Kanzleiwert

Um die Auswirkungen auf den Kanzleiwert zu beurteilen, braucht es zunächst einen Blick auf die Art, wie Kanzleien bewertet werden. Nach der einschlägigen Fachliteratur sind Ertragswertbewertungen allgemein anerkannte Bewertungsmethoden, der maßgebliche Standard für die Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte ist der IDW S13. Die Bundessteuerberaterkammer verweist in ihrer Arbeitshilfe zur Ermittlung von Kanzleiwerten4 ebenfalls auf diesen Standard. Grundsätzlich erfolgt die Berechnung des Unternehmenswertes dabei als Zukunftserfolgswert. Was theoretisch richtig ist und von professionellen Kanzleibewertern gemacht wird, hat sich in der Praxis bisher nicht durchgesetzt. Einfache Multiplikatorverfahren dienen in der Theorie eigentlich nur dazu, mittels qualifizierter Verfahren ermittelte Werte zu verifizieren, Plausibilitätsbetrachtungen anzustellen oder eine grobe Idee über den möglichen Wert zu entwickeln. Die Praxis verwendete sie jedoch überwiegend als alleiniges Bewertungsverfahren. Gebräuchlich sind Umsatzmultiplikatoren, bei denen lange eine Bandbreite zwischen einem Faktor von 0,8–1,2 bezogen auf den nachhaltigen vorhandenen Umsatz als angemessen angesehen wurde. Damit war der nachhaltig vorhandene Mandantenstamm der wertbestimmende Faktor schlechthin. Bereinigungen erfolgten im Wesentlichen in Bezug auf die höchstpersönlichen Umsätze der Verkäufer wie z. B. Autoren- oder Dozententätigkeiten, aber auch auf Einmalberatungs- und Deklarationsprojekte wie Übergaben, Betriebsprüfungen oder Erbschaftsteuererklärungen. Im Grunde wurde somit Umsatzpotential transferiert – etwas weniger theoretisch gesagt: Mandanten wurden verkauft.

Mandanten? Wer kauft denn heute noch Mandanten?

Als im Jahre 1994 das Werbeverbot für Steuerberater aufgehoben wurde5 hatten alle Marketingaktivitäten ein klares Ziel: Die Gewinnung von neuen Mandanten. Noch heute zeugen unzählige Internetauftritte von Steuerberatern davon, in dem der Dienstleistungskatalog einen großen Raum in der Außendarstellung einnimmt und die Belange der (potenziellen) Kunden wie die Erreichbarkeit oder die Parkplatzsituation in den Vordergrund gestellt worden sind. Dabei hat die Situation sich komplett geändert. Wöchentlich melden sich potenzielle Mandanten auf der Suche nach einem Steuerberater. Da in vielen Kanzlei jedoch ein kategorischer Annahmestopp herrscht, ist diese Suche meist zeitraubend, oft erfolglos.

Die Realität ist, dass bereits heute zahlreiche Kanzleien als nicht veräußerbar gelten. Bei allen Bewertungskonzepten bleibt ja doch eines gemeinsam – findet sich kein Käufer, dem die Kanzlei etwas wert ist, dann hat die Kanzlei offensichtlich keinen (Markt-) Wert. Die Folge ist, dass die Kanzleien einfach schließen oder sich für eine Vergütung des Substanzwerts einer größeren Einheit anschließen.

Die gute Nachricht – das muss nicht so sein

Jetzt den Schluss zu ziehen, dass Kanzleien per se keinen Wert mehr haben, wäre aber falsch. Jedoch ist dieser nicht automatisch durch den Umsatz bestimmt. Weitere Faktoren sind wichtig – vielleicht sogar wichtiger. Mit ein paar Fragen im Sinne eines Quickchecks kann man Wertpotenzial und notwendige Handlungsfelder erkennen:

  • In welchen Leistungsbereichen gibt es Umsatzpotenzial in der Kanzlei?
    Tätigkeiten, die auch in Zukunft mit großer Wahrscheinlich unter den Bereich der geschützten Vorbehaltsaufgaben fallen, dürften auch weiterhin werterhöhend ins Gewicht fallen, ebenso wie ein nennenswerter Anteil an gesondert abgerechneten Beratungsleistungen. Reine Deklarations- und Routinetätigkeiten werden bedingt durch Automation und Digitalisierung in Zukunft wohl weiter unter Druck geraten.
  • Wie ist die Kostenstruktur der Kanzlei?
    Die gängigen Benchmarks zu Renditekennzahlen und Kostenstrukturen geben einen guten Hinweis auf die Ertragskraft der Kanzlei6
  • Wie angespannt ist die (zukünftige) Personalsituation?
    Wie oben dargestellt sind die akquirierbaren Mandantenaufträge derzeit nicht der bestimmende Faktor beim Thema Umsatz. Viel wichtiger ist, wie viel Umsatz die Kanzlei mit den (zukünftig) vorhandenen Kapazitäten erwirtschaften kann. Dabei sollte man die Mitarbeiterstruktur im Sinne einer Kompetenzmatrix anhand der Leistungsbereiche der Kanzlei untersuchen, in welchem Bereich wie viel Kapazität vorhanden ist. Dadurch lässt sich der erwirtschaftbare Umsatz gut prognostizieren. Wenn diese Matrix noch um die bekannten Veränderungen z. B. aufgrund von Renteneintritten in Zukunft ergänzt wird, kann der nachhaltig zu erwirtschaftende Umsatz ermittelt werden.
  • Verfügt die Kanzlei über die zukünftig notwendigen Kompetenzen?
    Auch wenn KI-Tools wie ChatGPT und Automationsmöglichkeiten über Schnittstellen Routinetätigkeiten übernehmen werden, bleibt auch zukünftig Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften. Die Mitarbeitermatrix kann um Spezialwissen und Kompetenzen erweitert werden. Beispiele sind unter anderem der FAIT7, Fachwirte oder andere Fortbildungen mit auch in Zukunft benötigtem Spezialwissen.

Verlieren Sie nicht den Mut

Kanzleien können auch heute noch einen Wert haben – aber nicht mehr einfach aus dem Umsatz der vorhandenen Mandanten heraus. Typische A-Mandanten müssen längst noch nicht hausieren gehen, um Steuerberater zu finden, sondern sind auch zukünftig begehrte Akquiseobjekte. Kanzlei-Inhaber sollten demnach tiefer gehen und den eigenen Kanzleiwert als Mess- und Steuerungsgröße nutzen, um einen Wert für einen zukünftigen Verkauf zu schaffen und zu halten. Dabei geht es viel mehr als um ein „Aufhübschen der Braut“, es geht um einen nachhaltigen Ansatz zum Überleben und zum nachhaltigen Erfolg.

 

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1 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BGBl 2019 I Nr. 48
2 Quelle: www.bstbk.de
3 IDW S 1 i.d.F. 2008 Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, Institut der Wirtschaftsprüfer e.V., Düsseldorf
4 Hinweise der Bundessteuerberaterkammer für die Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis, Präsidium der
Bundessteuerberaterkammer am 06.03.2017
5 Leitfaden externe Kommunikation der Bundessteuerberaterkammer
6 Vgl. STAX 2018, Statistisches Berichtssystem für Steuerberater, Bundessteuerberaterkammer, Berlin 2019
7 Fachassistent Digitalisierung und IT-Prozesse