
Bodo Richardt
Europäisch denken europäisch handeln?
Der Brexit hat Europa erschüttert, Europakritiker sind auf dem Vormarsch. Bodo Richardt, Präsident der European Federation of Accountants and Auditors for SMEs (EFAA), die sich für kleine und mittlere Praxen (SMPs[1]) einsetzt, hält dagegen: der Berufsstand und gerade SMPs dürfen Europa nicht aus dem Blick verlieren.
Die Nachricht vom Brexit erreichte mich nur wenige Stunden vor dem Beginn der EFAA Jahresversammlung am 24. Juni 2016 in Madrid. 50 Vertreter von 16 nationalen Mitgliedsorganisationen unseres Verbands, die mehr als 360.000 Berufsangehörige repräsentieren, würden gleich zusammentreten. Der Brexit schien völlig im Gegensatz zum Sinn unserer Veranstaltung, aber auch zum Erfolg unseres europäischen Verbands zu stehen, der allein 2016 bereits fünf neue Mitglieder begrüßen durfte. Hatten wir alle auf das falsche Pferd gesetzt? Lohnt sich die Beschäftigung mit Europa überhaupt für kleine und mittlere Gesellschaften?
Vor drei Jahren war ich gebeten worden, eine Strategiegruppe zur Reform der EFAA zu leiten. Trotz eines anerkannt hohen Standards der fachlichen Arbeit war ein Wandel gewünscht, weil die Wirkung und Anerkennung nicht mehr den Vorstellungen der Mitglieder entsprach.
Kleine und mittlere Praxen erbringen viele Schlüsseldienstleistungen für kleine und mittlere Unternehmen (SMEs[2]). Sie sind oft deren vertraute und häufig einzige betriebswirtschaftliche Berater und vermitteln wichtige Informationen und Kenntnisse.[3] Politiker betonen immer wieder, dass SMEs das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bilden: 99,8 Prozent aller europäischen Unternehmen sind SMEs. Sie stehen für 66,9 Prozent der Beschäftigung und 58 Prozent der Wertschöpfung. [4] Damit sind SMPs von zentraler Bedeutung für Europas Wirtschaft, werden aber keineswegs entsprechend beachtet.
Anders als die großen international tätigen Netzwerke verfügen SMPs nicht über eigene Ressourcen, um ihre Interessen bei Standardsetzern und Politikern auf internationaler Ebene zu wahren. Die Strategiegruppe war sich einig: Hier besteht Handlungsbedarf. Die Vision: Den europäischen Dachverband der SMPs stärken, nach innen und außen aktiver kommunizieren und mit politischen Akteuren frühzeitiger Kontakt aufnehmen, um die Interessen und Bedeutung von SMPs und SMEs erfolgreich zu vermitteln.
Lassen Sie mich an einem konkreten Beispiel erläutern, was dies in der Praxis bedeutet. Bereits als vergangenen Herbst erste Pläne der Kommission zur Deregulierung der Freien Berufe bekannt wurden[5], führten wir zeitnah Gespräche mit dem Leiter der für berufliche Qualifikation zuständigen Abteilung bei der Kommission. Der Kontakt wurde fortgeführt, um der Kommission die Wichtigkeit einer hochwertigen Berufsqualifikation und -ausübung in wirtschaftlichen Schlüsselstellen aufzuzeigen. So waren wir zum Beispiel im Mai 2016 beim Single Market Forum in Brüssel vertreten. Der stellvertretende Leiter der Abteilung wiederum trug im Rahmen der EFAA 2016 Conference am 23. Juni 2016 in Madrid vor und suchte so den direkten Austausch mit uns.
Neben zukunftsgerechter Berufspolitik arbeitet die EFAA auch an anderen wichtigen Projekten. In der Rechnungslegung werden wir mit einer Studie einen „Trickle-Down Effect“[6] belegen. Wir zeigen, dass internationale Standards, die eigentlich (nur) für große Unternehmen entwickelt wurden, nach und nach auch bei SMEs relevant werden. SMPs und SMEs sollten daher bereits bei ihrer Ausarbeitung gehört werden. Auch werden wir in Kürze eine europäische Studie über Berufsangehörige, die unter Druck gesetzt werden, veröffentlichen[7]. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden wollen wir SMPs für solche Fälle besser vorbereiten, aber auch Standardsetzern und Politikern wichtige Informationen für deren zukünftige Maßnahmen an die Hand geben. Von besonderer Bedeutung war eine Konferenz von rund 35 Experten aus Europa, die erst kürzlich zusammen mit mir nach London eingeladen wurden, um über die Zukunft guter Regulierung zu sprechen[8].
Dieser Ausschnitt unserer Arbeit macht deutlich, wie wichtig eine europäische Interessensvertretung der lokalen und nationalen Berufsverbände ist. SMPs profitieren von politischer Interessenwahrung auf europäischer Ebene (Berufspolitik), von der Schaffung eines Bewusstseins für die Bedeutung von SMPs (Aufklärung und „Trickle-Down Effect“) und von der gemeinsamen Verbesserung der Arbeit der Berufsverbände für SMPs (Studie über den Druck auf Berufsangehörige). Gerade als SMPs müssen wir selbstbewusst europäisch denken – und europäisch handeln. Übrigens waren alle Mitglieder bei der Jahresversammlung der EFAA in Madrid der gleichen Meinung.
[1] Small- and medium-sized practices
[2] Small- and medium-sized enterprises
[3] etwa Jarvis et al. (2014) International Advisory Services Provided by Small- and Medium-sized Accountancy Practices to SMEs
[4] European Commission (2016) Annual Report on European SMEs 2014/2015
[5] European Commission (2015) Upgrading the Single Market
[6] engl. trickle-down „durchsickern“
[7] Accountants under Pressure
[8] London Roundtable – From Crisis to Confidence: the Role of Good Regulation; gemeinsame Konferenz der International Federation of Accountants, New York (IFAC), und des Institute of Chartered Accountants of England and Wales, London (ICAEW) am 20. Juli 2016 in London.