Foto: contrastwerkstatt/adobe stock

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Kanzleivermittlung

Realismus beim Kanzleiverkauf

Von Wolfgang Zeiß, RS-Gruppe

Bereits im Jahr 2016 sagte Wolfgang Wehmeier, profunder Kenner des Kanzleimarktes sowie der Wertermittlung von Steuerberaterkanzleien, in einem Interview im LSWB-Magazin: „Ich beobachte unbeirrbares Festhalten am immer noch verbreiteten Irrglauben ‚Meine Kanzlei – meine Altersversorgung‘“ (LSWB-Magazin 1/2016, Seite 10).

Diese Aussage ist mehr denn je gültig. Trotzdem können auch heute noch gute Preise erzielt werden. Die Umstände des Einzelfalls sind entscheidend.

Zur Marktsituation: Laut Berufsstatistik der Bundessteuerberaterkammer 2021 (Stand 01.01.2022) ist die Quote der selbstständigen Steuerberaterinnen und Steuerberater erneut leicht rückläufig und die Quote der angestellten Berufsangehörigen steigt weiter an.

Die Anzahl der Steuerkanzleien in Deutschland liegt bei ca. 54.000, davon sind knapp 70 % Einzelkanzleien. Geschätzt werden etwa 10 % der kleinen und mittleren Kanzleien (Umsatz < 1 Millionen Euro) in den nächsten fünf Jahren aus diversen Gründen vom Markt verschwinden. Alter, mangelhafte Digitalisierung, fehlendes Personal, Scheu vor notwendigen Investitionen sind die wesentlichen Gründe. Die verbleibenden Kanzleien stehen dem Markt als potenzielle Kauf-
objekte zur Verfügung.

Steuerberaterkanzleien haben heute keinen Neugeschäftsbedarf, das fundamentale Problem ist die Beschaffung von qualifizierten Mitarbeitern. Inzwischen werden Kanzleien ausschließlich zu dem Zweck gekauft, um den Mitarbeitern in größeren Einheiten eine deutlich bessere Personalentwicklungsperspektive zu bieten. Regionale Standortleitungen, Aufbau einer zweiten Führungsebene, Aufstieg in die Partnerebene oder Übernahme von Führungsaufgaben seien hier nur als Beispiele erwähnt. Seit Jahren werben die RS-Gruppe und andere Beratungsunternehmen für eine nachhaltige und professionelle Personalarbeit in den Kanzleien. Heute gilt es den Mangel optimal zu verwalten und digitale Strategien zu entwickeln, um mit weniger Arbeitskräften deutlich mehr Arbeit zu bewältigen.

Diese Situation hat natürlich enorme Auswirkungen auf den Markt der Kanzleivermittlung. Gängige Bewertungsgrößen, die auf Umsätzen bzw. Ertragswerten beruhen, dienen sicher immer noch als Basisbetrachtung. Faktisch sieht es aber heute so aus, dass eine Kanzlei mit z. B. 500.000 Euro Umsatz und acht Mitarbeitern (vier Vollzeit und vier Teilzeit) je nach Struktur, Lage und strategischer Ausrichtung sowohl unverkäuflich sein kann, als auch mit einem Faktor von 1,0 verkauft wird.

Was sind die wesentlichen Elemente für eine erfolgreiche Vermarktung?

1. Honorarstruktur: Aufteilung der Umsätze auf die Kernfelder Abschluss, Finanz- und Lohnbuchhaltung, Erklärung und Beratung. Dabei kommt insbesondere dem Geschäftsfeld der proaktiven Unternehmensberatung eine immer bedeutendere Rolle zu.

In der Beratung kommen die Kernkompetenzen des Steuerberaters in Verbindung mit dem beratenden Rechtsanwalt besonders zum Tragen. Die permanente unterjährige Begleitung hat die nur einmal jährlich stattfindende Abschlussbesprechung in ihrer Bedeutung längst überholt. Hier liegen für mittlere und größere Kanzleien im gewerblichen und industriellen Geschäft noch erhebliche Potenziale für unternehmerisch denkende Berufsträger. Investoren suchen häufig spezialisierte und leistungsfähige Kanzleien, die die gesamten M&A-Prozesse aus einer Hand begleiten. Vielfach wird von riskanten und sich nicht wiederholenden Projektgeschäften gesprochen. Wir können nur das Gegenteil bestätigen. Kanzleien mit einem erheblichen Anteil an Beratungsgeschäft erzielen deutlich höhere Preise.

2. Mandantenstruktur: Eine aussagekräftige Mandantenliste ist wesentlicher Bestandteil eines jeden Verkaufsgespräches. Stichwortartig seien hier nur die wesentlichen Inhalte aufgeführt: Einteilung in A-, B- und C- Mandate. Gliederung nach Branche, Gesellschaftsform, Honorar pro Auftrag, Gesamthonorar, Digitalisierungsgrad, Alter, etc.

3. Personalbestandsanalyse: Ein Punkt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es gibt sogar inzwischen Käufer, die Kanzleien nur wegen der Belegschaft erwerben. Eine qualifizierte Analyse der Belegschaft enthält neben dem Lebens- und Dienstalter den Aus- und Weiterbildungsstand, die betriebswirtschaftlichen Rahmendaten und sonstigen vertraglichen Bedingungen bzgl. Arbeitszeit und evtl. vereinbarter individueller Regelungen (z. B. Dienstwagen, Altersver-
sorgung, Bonusregelungen).

4. Digitalisierungsgrad/Prozessmanagement: Ohne aktuelle Digitalisierung und Prozessoptimierung, die von der gesamten Belegschaft beherrscht wird, besteht so gut wie keine Marktchance. Dabei ist auch von Bedeutung, inwieweit die Möglichkeiten der eingesetzten Software genutzt werden.

5. Strategie/Marktauftritt: Jede Kanzlei sollte heute eine Unternehmensstrategie haben und die Frage beantworten können, mit welchen Alleinstellungsmerkmalen sie für welche Mandanten in welcher Region erster Ansprechpartner sein will. Ein dementsprechendes Marketingkonzept spiegelt sich in der Webseite wider.

6. Zukunft des Altinhabers: Ein häufig gar nicht oder zu spät diskutierter Punkt ist die Frage, welche Rolle der Altinhaber nach Kaufabschluss spielen soll. Je nach Situation kann diese Frage für den Kaufpreis von erheblicher Relevanz sein. Voraussetzung ist, dass sich diese Person rechtzeitig Klarheit darüber verschafft, welche Funktion sie überhaupt bereit ist einzunehmen.

7. Kaufpreis: Bevor eine Kanzlei an den Markt gebracht wird, sollte sich der Inhaber sehr genau informieren oder beraten lassen, wie der aktuelle Marktwert einzuschätzen ist.

8. Betriebswirtschaftliche Kenndaten: Eine übersichtliche Aufbereitung der wichtigsten Daten der letzten drei Jahre (Abschlüsse/Erklärungen) erleichtert es den Interessenten, einen schnellen Überblick zu erhalten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich der Markt erheblich verändert hat und die jeweilige Individualsituation von großer Bedeutung für einen erfolgreichen Verkauf ist. Eine normale Kanzlei ist mit Sicherheit keine Garantie mehr für eine auskömmliche Altersversorgung. Andererseits können gut geführte Kanzleien auf dem Markt immer noch erhebliche Preise erzielen. Je besser insbesondere die Personalarbeit und damit die Qualifikation der Mannschaft, der Digitalisierungsgrad und die strategische Ausrichtung der Kanzlei sind, um so höhere Marktwerte sind zu erzielen. Die rechtzeitige Einschaltung eines erfahrenen Vermittlers ist bei der komplexen Marktsituation unbedingt zu empfehlen.