Foto: NAMPIX/adobe stock

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Mit Digitalisierung bürokratische Hürden besser bewältigen

Prozesse transformieren

Von Robert Mayr, CEO der Datev eG

Bürokratie hat schon etwas Seltsames an sich. Obwohl viel darüber geredet wird, dass sie reduziert werden muss, wächst und gedeiht sie meist prächtig. So kommt es nicht von ungefähr, dass die bürokratischen Hürden bei der Betrachtung der aktuellen Herausforderungen der Unternehmen in Deutschland aktuell weit oben in der Liste auftauchen. In der jüngsten Befragung des DATEV-Seismografen vom März 2023 haben die befragten Kanzleien das Thema gleich nach dem derzeit brennendsten Problem der Branche, dem Fachkräftemangel, an zweiter Stelle genannt. In Überregulierung und Bürokratie sehen sie große Unsicherheitsfaktoren für ihre Mandantinnen und Mandanten. Dabei hat das Themenfeld in den neun Monaten, die seit der vorherigen Befragungswelle vergangenen waren, ein ordentliches Wachstum hingelegt. Um 17 Prozentpunkte stieg die Anzahl der in der Einschätzung der Kanzleien davon stark betroffenen Mandate, was innerhalb der Problemwahrnehmung einen Aufstieg von Rang Vier auf den zweiten Platz zur Folge hatte.

Der Kampf mit bürokratischen Hindernissen ist also ein drängendes Problem für viele Unternehmen in Deutschland. Und obwohl sich nahezu jede Regierung in jüngerer Zeit den Abbau von Bürokratie vorgenommen hat, sind Regulierungen und Vorgaben in Summe eher gewachsen. Diese Erkenntnis soll nicht dazu führen, zu resignieren und die Bemühungen aufzugeben. Aber sie macht klar, dass wir uns zumindest mit einem gewissen Maß an bürokratischen Regeln arrangieren müssen. Es gilt also nach Wegen zu suchen, die Unternehmen, Beraterinnen und Berater sowie Bürgerinnen und Bürger etwas einfacher durch den Bürokratiedschungel lotsen.

Manuellen Aufwand bei der Umsetzung reduzieren

Auf der Suche nach solchen Hilfsmitteln begegnet uns relativ bald ein bewährtes Mittel: Die Rede ist von konsequenter Digitalisierung, die in unterschiedlichsten Bereichen zu mehr Effizienz führt. Nicht zuletzt künstliche Intelligenz (KI) ist dabei prädestiniert, für Entlastung zu sorgen. Wir sehen das heute bereits in der Praxis. In einigen Anwendungen der Datev steckt schon heute KI und sorgt dafür, manuellen Aufwand zu reduzieren. Beispielsweise unterstützt der Automatisierungsservice Rechnungen schon über 3.300 Kanzleien beim Buchen von Rechnungen, indem er aus den Informationen der hochgeladenen Belege Buchungssätze erstellt. Auf dieser Basis arbeiten Kanzleien sehr effizient mit ihren Mandanten zusammen und profitieren von durchgängig digitalen Prozessen.

Noch lückenloser wird es, wenn die Belege nicht mehr von einem nachträglich erzeugten Bild ausgelesen werden müssen, sondern direkt aus der Rechnungsschreibungssoftware als elektronischer Datensatz in das Buchungssystem gelangen. Dafür brauchen wir eine breite Durchdringung elektronischer Rechnungen und genau in diesem Bereich steht in Kürze ein weiterer Booster für die Digitalisierung ins Haus: die Einführung der verpflichtenden Business to Business (B2B) E-Rechnung in Deutschland wie auch auf europäischer Ebene. Für Deutschland soll sie nach aktuellen Planungen des BMF zum 1. Januar 2025 kommen. Dieser Schritt ist zwar auch eine politische Herausforderung, die nicht überall auf Gegenliebe stößt. Aber eines ist gewiss: Das hinter dieser Verpflichtung stehende Effizienzpotenzial ist riesig.

Ein wichtiger Aspekt für die Akzeptanz dieser E-Rechnungspflicht wird nicht zuletzt die technische sowie rechtliche Standardisierung des dafür vorgeschriebenen Formats sein. Es sollte für die Anwender so einfach wie möglich umsetzbar sein, weshalb sich beispielsweise das bereits existierende ZUGFeRD-Format anbietet. Sein Vorteil: Auch Unternehmen, die keine gesonderten Werkzeuge zum Auslesen der Rechnungsdaten einsetzen, können es problemlos verwenden. Viele Lösungen für die Rechnungsschreibung können bereits heute E-Rechnungen nach diesem Standard erzeugen, sodass die Pflicht in Betrieben und Kanzleien keine zusätzliche Komplexität erzeugen würde. Ein weiteres anschauliches und per se enorm mit Bürokratie durchsetztes Beispiel ist das Auffinden von Fördermitteln für sehr unterschiedlich strukturierte Mandantenunternehmen. Auch hier unterstützt eine digitale Datev-Lösung die Berater dabei, aus tausenden Fördermitteln mit ein paar Mausklicks das passende Modell für ihre Mandanten zu finden, statt sich in sämtliche Förderauflagen einlesen zu müssen und sie manuell mit den Anforderungen der Mandanten abzugleichen.

Prozesse digital denken Anwendungsfälle wie diese zeigen eindrucksvoll, wie uns digitale Helfer schon heute beim Abarbeiten bürokratischer Erfordernisse unter die Arme greifen und es in Zukunft noch viel umfassender tun werden. So lässt sich Bürokratie zwar nicht abschaffen, aber ein Stück weit beherrschbarer machen. Als Katalysator für den dadurch erreichbaren Effizienzgewinn wird allerdings unsere Fähigkeit wirken, die Abläufe rund um Compliance-Erfordernisse möglichst lückenlos digital abzubilden. Wenn uns dies gelingt, birgt es die Chance einer weitestmöglichen Automatisierung. Technisch ist das problemlos vorstellbar. Was es aber neben den technischen Möglichkeiten erfordert, ist ein tieferes Umdenken.

Damit wir in einer Welt mit weit reichendenden automatischen Prozessen ankommen können, müssen wir diese Abläufe komplett neu konzipieren. Solange wir Digitalisierung so verstehen, dass wir einen analogen Prozess lediglich 1:1 in elektronischen Systemen abbilden, profitieren wir zwar meist, doch das volle Potenzial der digitalen Transformation schöpfen wir auf diese Weise nicht aus. Leider herrscht jedoch genau diese Sicht an vielen Stellen – auch bei politischen Entscheidungsträgern – noch vor. Wir müssen aber die Gelegenheiten ergreifen und die Prozesse wirklich digital transformieren. Dann zeigt sich plötzlich, wo sie sich überall von unnötiger Bürokratie entschlacken lassen.

  • Umfrage des DATEV-Seismografen im März 2023