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Mitarbeiter gesucht!
Drei wichtige Erkenntnisse
Die Situation in den meisten Kanzleien ist Ihnen sicherlich aus eigenem Erleben und den Schilderungen der Berufskollegen sehr bewusst: Der Engpass liegt meistens nicht in der Anzahl der Mandanten, sondern in der Kapazität. Man kommt, nicht zuletzt dank Zusatzbelastungen wie Überbrückungshilfen und Grundsteuer, kaum hinterher.
Neue, qualifizierte Mitarbeiter bräuchte man. Natürlich müssten diese auch eingearbeitet werden, aber das wäre grundsätzlich machbar. Das Problem entsteht an viel früherer Stelle, nämlich bei der Anzahl der Bewerbungen, die eintreffen. Oft muss man dann entscheiden zwischen einem Bewerber, der fachlich oder persönlich vermutlich nicht optimal passen wird und einer weiter andauernden Vakanz der Stelle. Oft sind auch die Erwartungen des potenziellen neuen Mitarbeiters „interessant“.
Was macht man, wenn man die Anzahl der Bewerbungen ankurbeln möchte? Im ersten Schritt schaltet man vielleicht eine klassische Anzeige. Wenn das kein zufriedenstellendes Resultat bringt, erhöht man die Größe oder die Anzahl der Anzeigen. Wenn das auch nicht ausreichend hilft, greift man auf Angebote von Dienstleistern zurück (die offenbar zuhauf die Zielgruppe Steuerkanzleien für sich entdeckt haben): Eine Agentur, die die Website aufpoliert oder eine Social-Media-Kampagne durchführt. Vielleicht beauftragt man sogar einen Personalberater (Headhunter). Das kann durchaus eine sinnvolle Abkürzung darstellen, vorausgesetzt, das entsprechende Fundament steht bereits.
Wenn jedoch eine große Kampagne auf einem bestimmten Social-Media-Kanal empfohlen wird, aber in der relevanten Region nur acht Personen mit der relevanten Qualifikation auf der Zielplattform sind (Echtbeispiel, das wir neulich ausgelesen haben), dann ist eine Kampagne, die Tausende Menschen erreicht, wenig zielführend. Mir geht es in keiner Weise um Kritik an einzelnen Anbietern, sondern darum, dass Sie mit drei wichtigen Erkenntnissen das Lesen dieses Beitrags abschließen.
Erkenntnis Nr. 1
Wenn man gute Entscheidungen in Bezug auf Dienstleister treffen möchte, muss man sich tief genug damit beschäftigen, um die Plausibilität der versprochenen Ergebnisse zumindest einigermaßen beurteilen zu können. Sonst wird die Entscheidung zum Lotteriespiel oder bestenfalls das Ergebnis des Bauchgefühls. Anbieter haben natürlich ein Interesse daran, ihre Dienstleistung zu verkaufen – was nicht verwerflich ist. Allerdings ist das Thema Mitarbeitergewinnung Chefsache! Nicht in jedem Detail, aber in Bezug auf die Wirksamkeit der Maßnahmenplanung und das Ergebnis. Ganz konkret gefragt: Spiegelt Ihre wöchentliche Zeitverwendung auch nur im Ansatz die strategische Bedeutung dieses Themas wider? Die Frage soll nicht kritisieren, sondern die – an vielen Stellen vorhandene – Diskrepanz aufzeigen.
Erkenntnis Nr. 2
Es gilt, die „Multiplikation mit Null“ zu vermeiden! Egal wodurch ein potenzieller neuer Mitarbeiter auf Ihre Kanzlei aufmerksam wird: Dieser geht in der Regel auf die Website. Dort klickt derjenige (sofern der Absprung nicht sofort erfolgt) ein wenig herum und findet hoffentlich schnell den Karrierebereich. Der mögliche Kandidat gewinnt einen gewissen Eindruck und es entsteht hoffentlich ein Interesse. Idealerweise bewirbt sich derjenige dann. Diese zahlreichen Schritte bezeichnet man als „Kandidatenreise“ bzw. einen wesentlichen Teil davon.
Der Erfolg einer Rekrutierungsmaßnahme ist im Wesentlichen das Ergebnis der Multiplikation des jeweiligen Anteils der Kandidaten, die von einem Schritt zum nächsten Schritt nicht (!) verloren gehen. Das ist eine recht analytische Betrachtung, die man jedoch verstehen und messen muss, wenn man nicht sehr viel Geld verlieren möchte.
Wir haben schon Beispiele gesehen, bei denen über 90 % der potenziellen Bewerber angefangen haben, ein Bewerbungsformular auszufüllen, aber abgebrochen haben. Das Formular zu verbessern ist dann, zumindest im ersten Schritt, die wichtigste Maßnahme. Wenn in einem anderen Prozessschritt der Kandidatenreise nur 40 % den nächsten Schritt machen und man den Anteil auf 80 % erhöhen kann, hat man damit die Wirksamkeit seiner kompletten Rekrutierungsressourcen verdoppelt. Das bewirkt also in etwa das gleiche wie die Verdopplung des Budgets. Wenn man die entscheidenden Zahlen nicht kennt, wird es nicht nur kostspieliger, sondern schwer zu beurteilen, ob sich Mehrausgaben lohnen würden.
Erkenntnis Nr. 3
Gerne frage ich Teilnehmer in Veranstaltungen, wofür genau sie Geld zur Mitarbeitergewinnung investieren bzw. in der Vergangenheit ausgegeben haben. Dann frage ich im zweiten Schritt: Und wo kamen die meisten und vor allem die besten Mitarbeiter in den letzten Jahren her? Das ist meist ein Aha-Moment!
Oft kamen ein hoher Anteil bzw. sogar sehr hoher Anteil der überdurchschnittlich guten Mitarbeiter aus dem eigenen Netzwerk oder dem Netzwerk der Mitarbeiter. Das Netz-
werk gezielt zu nutzen und auszubauen, ist meistens nicht nur der wirksamste Weg in der Mitarbeitergewinnung, sondern auch noch der kostengünstigste – schon kurzfristig und erst recht langfristig, weil man nicht immer wieder Geld in die Hand nehmen muss.
Es gilt also, diese Netzwerke gezielt zu nutzen! Dies bedeutet konkret, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen (es ist immer problematisch, etwas von Mitarbeitern zu erwarten, das man selbst nicht vorlebt) und erste Erfolge zu produzieren. Dann geht es darum, die Mitarbeiter ins sprichwörtliche Boot zu holen. Das heißt die Vorteile (eine Prämie ist nur das „i-Tüpfelchen“) des aktiven Mitwirkens aufzuzeigen, ein begleitendes Brainstorming durchzuführen und zu guter Letzt den Mitarbeitern das kommunikative Handwerkszeug mitzugeben, damit diese sich wohl dabei fühlen.
Unserer Erfahrung nach gibt es bei der Nutzung des Netzwerks zur Mitarbeitergewinnung in ca. 95 % aller Kanzleien eine Menge „Luft nach oben“.
Beherzigen Sie diese drei Erkenntnisse, bevor Sie weiteres Geld in die Mitarbeitergewinnung investieren, von dem Sie nicht wissen, ob es etwas bringen wird!
Seminar des Autors
Mitarbeitergewinnung:
2 blinde Flecken und 8 ½ Strategien
Online, 13.10.2022
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