
Kein unplausibles Zukunftsszenario: Drohnen könnten bald Briefträger und Paketboten ersetzen.
Über den Tellerrand geschaut
Das Thema Arbeit 4.0 bewegt nicht nur Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft
Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen beschäftigen nicht nur die steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe. Die gesamte deutsche Wirtschaft ist in Bewegung: Unter dem Stichwort Arbeit 4.0, das einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entlehnt ist, denken viele Branchen über ihre Zukunft nach: Welche Jobs wird es in zwanzig Jahren noch geben? Welche Qualifikationen und Fähigkeiten brauchen Mitarbeiter künftig? Wie müssen Unternehmen aussehen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden?
Die Zahl der Bücher, Studien, Thesen- und Positionspapiere, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, ist inzwischen Legion. Für Deutschland wird der Wegfall von 5 bis 18 Millionen Arbeitsplätzen vorausgesagt. In den nächsten 25 Jahren könnten 47 Prozent der Jobs in den Industriestaaten verschwinden die Arbeitslosigkeit auf über 25 Prozent anschwellen. Die Befürchtung ist, dass die digitale Revolution weniger Jobs schafft als sie vernichtet. Das wäre ein Unikum in der Geschichte der Industriegesellschaften.
Andere Studien zeichnen ein erheblich positiveres Bild, in der die Digitalisierung ungeahnte Wachstumsimpulse freisetzt. So geht beispielsweise eine Studie der Landeshauptstadt München von einer erheblichen Zunahme der Beschäftigung von 1 Million auf rund 1,2 Millionen Arbeitnehmer bis 2025 aus. Als Boombranchen mit mehr als 90.000 neuen Stellen identifiziert die Prognose ausgerechnet Finanz-, Versicherungsund Unternehmensdienstleistungen also den Bereich unter den auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer fallen.
Einigkeit unter Experten herrscht nur entlang einiger großer Linien: Die digitale Revolution wird auch Akademikerjobs vernichten. Arbeitsplätze in kreativen Branchen und in menschennahen Berufsfeldern wie Gesundheit, Führung und Bildung sind weniger gefährdet als Berufe mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten. Diese Rahmenbedingungen führen übrigens zur ironisch anmutenden Prognose, dass die sogenannte Oxfordstudie zur Zukunft der Beschäftigung zwar die Vernichtung von rund 50 Prozent aller Arbeitsplätze voraussagt, gleichzeitig aber das Personalwesen als zukunftssicheres Berufsfeld identifiziert.
Gewinner- und Verliererbranchen
Mit Sicherheit kann man sagen, dass es Gewinner und Verlierer geben wird. Gewinnerbranche dürfte der Bildungssektor sein: Zum einen, da die digitale Revolutionen eine Kultur des lebenslangen Lernen fördern wird. Hier entstehen Jobs auch wenn die Rolle digitaler Bildungsformate in Zukunft bedeutender wird. Zum anderen dürfte man sensible Bereiche wie die Erziehung und Schulbildung von Kindern auch in Zukunft nicht an Maschinen delegieren wollen. Aber genau wie in Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung werden sich auch in der Wachstumsbranche die Tätigkeitsfelder und Anforderungsprofile massiv verändern.
Als Verliererbranche wird häufig die Logistik genannt. Tatsächlich wird in diesem Bereich emsig an der Wegrationalisierung des Menschen gearbeitet: Paketdrohnen und vollautomatisierte Logistikzentren befinden sich bereits in der Erprobung. Dennoch schafft die Digitalisierung auch Jobs für Geringqualifizierte. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall prognostiziert, dass neue Assistenzsysteme viele Tätigkeiten vereinfachen und neue Stellen schaffen könnten. Die Frage ist natürlich, was mit den Facharbeitern passiert, die diese Jobs vorher ausgeübt haben.
Im Gesundheitssektor werden große Erwartungen an die Computerisierung von Routinetätigkeiten geknüpft: Die freiwerdenden Zeitressourcen von Ärzten und Pflegekräften sollen zu mehr Zeit für die Patienten führen. Eine Hoffnung, die allerdings verfrüht sein könnte, wie beispielhaft das Bankgewerbe zeigt. Auch hier hoffte man, durch Digitalisierung und Strukturmaßnahmen Mitarbeiterressourcen heben zu können und so die Zeit für Kundenkontakte zu erhöhen. In vielen Häusern haben allerdings Regulierung und Bürokratiewachstum diese Pläne jäh scheitern lassen und neue Stellen in der Verwaltung geschaffen. Eine Entwicklung, die den steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufen ebenfalls bevorstehen könnte.