DWS-Berufsrechtstagung, Dr. Stein mit Auditorium; Bildnachweis: DWS-Institut

DWS-Berufsrechtstagung, Dr. Stein mit Auditorium; Bildnachweis: DWS-Institut

Digitalisierung – eine berufsrechtliche Herausforderung!

Unter diesem Motto veranstaltete das Deutsche wissenschaftliche Institut der Steuerberater e.V. am 6.11.2018 in Berlin seine diesjährige Berufsrechtstagung. In Vertretung des Präsidenten der Bundessteuerberaterkammer Dr. Raoul Riedlinger, StB/WP/RA, begrüßte der Vizepräsident der BStBK Dr. Holger Stein, StB, die Teilnehmer. Als Ziel der Veranstaltung bezeichnete er es, sich der Antwort auf die Frage zu nähern, wann steuerliche Software-Produkte noch mit dem Steuerberatungsgesetz vereinbar sind und ab wann dies nicht mehr der Fall sei.

Das Impulsreferat hielt sodann RA Markus Hartung, Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Direktor des Bucerius-Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School. Seiner Ansicht nach besteht eine Diskrepanz zwischen dem eher konservativen Berufsrecht auf der einen Seite und der technologischen Entwicklung auf der anderen. Man müsse erkennen, dass das Berufsrecht das eine sei, dass sich aber technische Entwicklungen und darauf aufsetzende Praktiken unabhängig vom Berufsrecht vollziehen. Auf der einen Seite werde den rechts- und steuerberatenden Berufen vorhergesagt, dass sich viele ihrer Tätigkeiten in Zukunft automatisiert erledigen lassen, auf der anderen Seite gebe es immer noch Schutzgesetze wie das Rechtsberatungs- und das Steuerberatungsgesetz, mit denen die Qualität der Beratung geschützt werden solle. Tatsache sei, dass es heute im Bereich der Rechtsberatung zahllose Online-Angebote gebe, die den Zugang von Verbrauchern zum Recht fördern. Dies gelte z. B. im Hinblick auf Fluggastentschädigungen oder die Rechtsdurchsetzung im Zusammenhang mit der Mietpreisbremse. Hier finde eine quasi industrielle Bearbeitung statt, dies allerdings auf Gebieten, in denen die Anwaltschaft de facto ohnehin nicht vertreten sei und weiterhelfe. Ähnliche Entwicklungen machte Hartung auch im Bereich der Steuerberatung aus. Auch hier gebe es Desktop-Programme oder Apps, mit denen sich Steuererklärungen im Interview-Modus vorbereiten und dann abgeben ließen. Absehbar sei, dass demnächst auch sog. Chatbots, also automatische Dialogsysteme, Verbreitung finden werden, die das mündliche Gespräch mit einem Berater imitieren. Wo hier die Grenze zur steuerlichen Beratung liege, sei schwer auszumachen. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hätten auch Plattformen zur Vermittlung von Rechtsanwälten oder Steuerberatern. Zwar gelte berufsrechtlich ein Provisionsverbot, es sei aber zu beobachten, dass durch die Datenerhebung im Rahmen solcher Plattformen z. T. bereits vorbereitende Arbeiten im Sinne einer Sachverhaltserfassung ausgeführt würden, welche die Plattformen ggü. dann evtl. eingeschalteten Berufsträgern abrechnen würden und wohl auch dürften. Während sich einzelne Anwälte in Youtube bereits als Quasi-Informationskanal positioniert hätten, seien ähnliche Entwicklungen im Bereich der Steuerberaterschaft seiner Kenntnis nach bisher nicht zu verzeichnen. Hartung ging dann auch auf das Thema künstliche Intelligenz ein, welche die Engländer als eine „Jaw dropping technology“ bezeichnen, deren Ergebnisse so überraschend seien, dass einem „der Kiefer herunterfalle“. Mitunter stelle man fest, dass mit dieser Technik etwas funktioniere, ohne dass man erklären könnte, warum es funktioniert. Bereits heute sei es möglich, z. B. im Bereich einer Due Diligence, tausende von Verträgen zu analysieren und etwa die Vertragsparteien, den Mietpreis und die Kündigungsfrist des jeweiligen Vertrages auszulesen und systematisch zu erfassen. Dabei sei es generell so, dass KI-Programme Zustände miteinander vergleichen, und zwar einen Zustand, der ihnen „gezeigt“ wurde, und andere Zustände, die auf Vergleichbarkeit hin untersucht werden. Dabei gebe es heute allerdings zuweilen auch noch Probleme. So führte Hartung an einem sichtbaren Beispiel vor, dass KI mitunter einen Chihuahua nicht von einem Blueberry-Muffin unterscheiden kann, was für Heiterkeit im Saal sorgte. Hartung prognostizierte, dass es noch Jahre dauern werde, bis künstliche Intelligenz Antworten auf komplexe, nicht standardisierte Fragen geben kann. Dennoch: Ausgehend von den geschilderten technischen Verbesserungen werde es immer schwieriger, die Frage zu beantworten, was eine Rechtsdienstleistung von einer schematischen Anwendung  des Rechts unterscheidet, welche keine Rechtsdienstleistung ist. Auf diese Frage gebe es bisher keine Antwort, die Diskussion habe gerade erst begonnen. Technologischer Fortschritt, so Hartung, werde sich nicht aufhalten lassen. Deshalb müssten sich die Freien Berufe auf das konzentrieren, was sie besonders gut und besser könnten, um durch Definition dessen ihren Status abzusichern.

Es folgte dann eine Podiumsdiskussion über den Einfluss der Digitalisierung auf das Berufsfeld der Rechtsanwälte und Steuerberater, die von Prof. Dr. Thomas Mann, Vorsitzender des wissenschaftlichen Arbeitskreises „Berufsrecht“ des DWS- Instituts e.V. geleitet wurde. Die erste Frage richtete er an Dr. Lars Meyer-Pries, Mitglied der Geschäftsleitung der DATEV eG, indem er sich erkundigte, wie ein Technologieunternehmen die weitere Entwicklung sehe. Dr. Meyer-Pries nannte drei Bereiche, in denen die Digitalisierung bereits heute spürbar sei und in Zukunft noch an Bedeutung zunehmen werde. Die wachsende Bedeutung von Portalanbietern verenge den Wettbewerb. Die Automatisierung von Beratungsleistungen werfe die Frage nach dem freiberuflichen Kern der Anwalts- und Steuerberater-Tätigkeit auf. Außerdem führe die schnell perfomanter werdende Technologie zu einer Destruktion alter  Geschäftsmodelle. Meyer-Pries nannte hier beispielhaft die Blockchain-Technologie, die Vorschlagsveranlagung, aber auch automatische Clearingsysteme bei indirekten Steuern. Gefragt nach dem Zeithorizont solcher Entwicklungen äußerte er, dass die Bedeutung von Big Data und KI in der Steuerberatung kurzfristig überschätzt, langfristig aber unterschätzt werde. Bisher verfüge man über einfache Assistenzsysteme, schon bald werde es aber Frühwarnsysteme geben und in drei bis fünf Jahren sicherlich auch die vollautomatisierte Bearbeitung bestimmter Vorgänge. Meyer-Pries wies aber darauf hin, dass auch ein Vorgang wie das „autonome Buchen“ von einem Menschen entwickelt und von einem möglicherweise anderen Menschen kontrolliert werden muss. Die Verantwortung trage weiter der Mensch. Sodann brachte sich Dr. Hariolf Wenzler, Chief Strategy Officer von Baker und McKenzy in die Diskussion ein, indem er über die Welt der großen Law-Firms berichtete. Aus seiner Sicht sei die Frage weniger entscheidend, welche Hightech-Software eine Kanzlei einsetze (z. B. im Zusammenhang mit der Dokumentenanalyse bei einer Due Diligence), wichtiger sei, sich auf das Kundenbedürfnis einzustellen und dabei schnell auf sich ändernde Anforderungen der Mandantschaft zu reagieren. Anwälte und sicher auch Steuerberater müssten zukünftig in der Lage sein, ihren Mandanten im Rahmen agiler Verfahren zur Seite zu stehen. Statt eines klassischen Managements werde es auch in Kanzleien agile Teams geben. In diesen Teams würden auch nicht mehr nur Rechtsanwälte vertreten sein, sondern es werde sich um interdisziplinäre Teams handeln. BStBK-Vizepräsident Dr. Holger Stein, StB, vertrat die Auffassung, dass der steuerberatende Beruf grundsätzlich der IT wesentlich aufgeschlossener gegenüberstehe als die Anwaltschaft. Allerdings sei er auch „anfälliger“ für Automatisierung. Dies zeige sich nicht nur im Bereich der Finanzbuchhaltung, sondern gehe inzwischen auch in den Bereich der Einkommensteuer- und insbesondere auch der Umsatzsteuer-Erklärungen hinein. Am Beispiel der Umsatzsteuer-Voranmeldung machte Dr. Stein klar, wie komplex die Beratungsaufgaben noch sind, die nicht ordnungsgemäß von einem Softwareprodukt abgewickelt werden können. Das Berufsrecht müsse hier die Rahmenbedingungen setzen, ohne protektionistisch zu sein. Weil dies keine einfache Aufgabe sei, veranstalte man diese Berufsrechtstagung.

An das Publikum gewandt stellte Prof. Dr. Mann dann die Frage, ob sich die Vorbehaltsaufgaben angesichts der Technisierung in Zukunft überhaupt noch werden halten lassen oder ob sie, dort wo etwas automatisch abgewickelt wird, aufgegeben werden müssen. Der Geschäftsführer der Bundessteuerberaterkammer, RA Thomas Hund, sah die Aufgabe der am Berufsrecht Interessierten darin, herauszuarbeiten, welche Leistung der Technik überlassen bleiben darf und welche nicht. Dies dürfe nicht als eine Frage des Konkurrenzschutzes betrachtet werden, sondern des Verbraucherschutzes. Unterstützung erhielt Hund von DStV-Hauptgeschäftsführer RA/FAStR Prof. Dr. Axel Pestke. Eine wichtige Aufgabe werde es sein, eine erforderliche rechtliche Prüfung im Einzelfall von einer bloß schematischen Rechtsanwendung abzugrenzen. Entsprechendes gelte auch für das Steuerberatungsgesetz. Nach Auffassung von Meyer-Pries muss es darum gehen, den Kern der anwaltlichen oder steuerberaterlichen Expertise zu beschreiben. Angesichts sich stetig verbessernder technologischer Möglichkeiten habe man es hier allerdings mit einem „beweglichen Ziel“ zu tun, was die Aufgabe nicht leicht mache. Dem stimmte Dr. Hartung ausdrücklich zu. Dr. Wetzler bestätigte das, indem er ein Beispiel aus dem Plattform-Bereich vortrug. So stelle Google eine „Google-Suite for Law“ zur Verfügung, die nach dem Schema arbeite: „Wer einen solchen (juristischen) Satz so angefangen hat, hat ihn in der Regel so …. vollendet“. Dies sei ein Schritt zur automatisierten Formulierung von Vertrags- und ähnlichen Dokumenten. Skeptisch sah Dr. Stein den von einem Teilnehmer geäußerten Vorschlag, die Anbieter steuerlicher Software in den Berufstand und die Kammerorganisation zu integrieren.

Abschließend fasste Dr. Hartung seine Sicht des Themas noch einmal in vier Thesen zusammen. 1. Was durch Software erledigt werden kann, werde auch durch Software erledigt werden, selbst wenn das Ergebnis schlechter sei. 2. Legal Tech ersetze nur, wofür man ohnehin keinen Anwalt brauche. 3. Anwälte würden ihre Mandanten nicht an Legal Tech-Unternehmen verlieren, sondern an bessere Anwälte.  Und 4. der Wettbewerber, der Dich bedroht, sieht nicht aus wie Du.

Insgesamt hat die Veranstaltung verdeutlicht, dass die Abgrenzung der rechtlichen und steuerlichen Beratung einerseits von technischen Dienstleistungen andererseits zunehmend subtiler wird und neuer Antworten bedarf.