DStV plädiert auf dem Single Market Forum der EU-Kommission für ein ausgewogenes Notifizierungsverfahren

Am 9.11.2017 veranstaltete die EU-Kommission das Binnenmarkt Forum 2017 (Single Market Forum 2017) in Brüssel. Unter dem Motto „How does regulation matter?“ ging das von ca. 200 Teilnehmern aus ganz Europa besuchte Forum, darunter DStI-Vizepräsident StB Torsten Lüth, DStV-Hauptgeschäftsführer RA/FAStR Prof. Dr. Axel Pestke und DStV-Europareferent Dr. Jan Trommer - in englischer Sprache der Frage nach, inwieweit nationale berufsrechtliche Regulierungen die Qualität v.a. freiberuflicher Dienstleistungen fördern oder eben nicht.

 Die EU-Kommission ist hier skeptisch und hat zahlreiche Studien in Auftrag gegeben, aus denen sie ableitet, dass Berufsgesetze überwiegend keine positiven Effekte in Bezug auf die Qualität von Dienstleistungen besitzen. Diese Studien wurden auf dem Binnenmarkt Forum vorgestellt. Andere Studien, die auf der Veranstaltung indes keine Erwähnung fanden, darunter die vom Bundesverband der Freien Berufe e.V. (BFB) in Auftrag gegebene sog. Haucap-Studie, kommen allerdings zu genau entgegengesetzten Ergebnissen. Im Verlaufe des Forums wurde deutlich, dass diese unterschiedlichen Bewertungen auch damit zusammenhängen, dass der Begriff „Qualität“ in den verschiedenen Studien unterschiedlich definiert wird: Die Kommission verwendet den Qualitätsbegriff vornehmlich unter ökonomischen Gesichtspunkten, teilweise sogar nur unter dem einen Aspekt des billigsten Preises. Verschiedene, auf dem Forum vorgestellte Untersuchungen (z.B. diejenigen unter Leitung der englischen Professorin Maria Koumenta von der Queen Mary Univeristät in London) betrachten unter Qualität indes auch die Qualität des Marktes, d.h. die Verfügbarkeit bestimmter Dienstleistungen (availability of services), mit anderen Worten die Anbieterbreite, und nur partiell auch die fachliche oder Ergebnisqualität der betreffenden Dienstleistung (practitioner’s skills). Und selbst hier, bei der Bewertung der Ergebnisqualität, wurde über Kriterien innerhalb dieser Studien berichtet, die unter den Zuhörern Erstaunen hervorriefen, so z.B. wenn die fachliche Qualität von Apothekern nach dem Gesundheitsstand der Bewohner in den Bezirken bewertet wurde, in denen die Apotheken ihren Sitz hatten.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von dem Direktor der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, Hubert Gambs. Dem folgte eine Ansprache der zuständigen Kommissarin Elzbieta Bienkowska (EVP-Fraktion). Sie betonte, dass sie eine Reform des Binnenmarktes für erforderlich halte. Nicht immer seien Regulierungen von Vorteil. So seien beispielsweise zahlreiche Regelungen über die Rechtsberufe in Polen abgeschafft worden, ohne dass es zu Qualitätsverlusten gekommen sei. Der Europaabgeordnete und Binnenmarktpolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament Dr. Andreas Schwab erkannte an, dass in vielen Mitgliedstaaten die Befürchtung bestehe, dass es durch den geplanten verbindlichen Verhältnismäßigkeitstest und durch ein geändertes Notifizierungsverfahren schwerer werde, nationale Berufsrechtsregelungen zu erlassen. Hierüber müsse noch gesprochen werden. Grundsätzlich unterstütze er aber das Anliegen der Kommission, den Binnenmarkt zu liberalisieren, und befinde sich hier in Übereinstimmung mit Kommissarin Bienkowska. Ein Vertreter der Weltbank, Arup Banerjii, richtete dann einen „Blick von außen“ auf das Thema. Er vertrat die Auffassung, dass Deregulierung neue Möglichkeiten eröffne. In diesem Zusammenhang bedauerte er, dass heute 90 % der freiberuflichen Kanzleien und Praxen in Europa weniger als 10 Mitarbeiter haben und führte dies auf Regulierungshindernisse zurück, welche die Kanzleien und Praxen am Wachstum hinderten. Unbeantwortet blieb die Frage, ob es angesichts der Besonderheiten freiberuflicher Dienstleistungen überhaupt sinnvoll und wünschenswert ist, dass sich Kanzleien und Praxen zu immer größeren Einheiten zusammenschließen und ob dies von ihnen und ihren Mandanten und Patienten überhaupt gewünscht wird. Banerjii sah auch ein Problem darin, dass der Austausch von Dienstleistungen innerhalb Europas hinter dem Austausch von Waren zurückbleibe. Die Hauptursache dafür sah er wiederum in der Regulierung Freier Berufe. Sprachhindernisse und Unvertrautheit mit den Rechts- und Steuersystemen anderer Länder, wie sie beispielsweise bei Steuerberatern eine Rolle spielen dürften, wurden hingegen nicht erwähnt. Besonders kritisch äußerte sich Banerjii zu Vorbehaltsaufgaben und Kapitalbindungsvorschriften. Banerjii wies darauf hin, dass es in Europa 1.500 Berufskammern und –verbände gebe. Sie seien es, die immer wieder neue Regulierungen in die Welt setzten und damit Produktivität und Wachstum in Europa behinderten. Diese Aussage Banerjiis stand allerdings in einem deutlichen Widerspruch dazu, dass Deutschland von ihm als ein Land mit relativ geringer Regulierung eingestuft wurde, während es aber über eine vergleichsweise hohe Produktivität verfügt.

In einem ersten Panel wurden sodann empirische Studien vorgestellt, in denen es um die Auswirkungen von Regulierung auf die Qualität von Dienstleistungen ging. Prof. Maria Koumenta sah die Gründe für Regulierung u.a. darin, schlechte Anbieter vom Markt fernzuhalten, die Informations-Asymmetrie zu überwinden und die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern. Es frage sich aber, ob Regulierung Letzteres tatsächlich bewirke. Regulierung führe vielfach nur zu einem Minimum an Qualität (minimum standard) und verhindere damit Innovationen. Als Beispiel wurden die italienischen Fremdenführer genannt, die hohe Gebühren für ihre Zulassung zu zahlen hätten, so dass andere potenzielle Anbieter mit vielleicht besseren Konzepten nicht zum Zuge kämen. Wo konkretisierte Fortbildungspflichten bestehen, so ein weiteres Beispiel, würden diese zwar erfüllt, eine eventuell notwendige noch intensivere Fortbildung unterbleibe aber möglicherweise. Es folgten weitere Beiträge von Vertretern der EU-Kommission und der OECD, von der französischen Nationalbank und von Verbraucherorganisationen. Es wurde festgestellt, dass vorhandene Regulierungen in erster Linie den Berufszugang regeln, die Preisbildung und die Qualität. In allen Bereichen sahen die Referenten der Veranstaltung Probleme bzw. Verbesserungsbedarf. Allerdings konnten nach dem Eindruck nicht weniger Zuhörer auch keine schlagenden Belege (evidence) dafür vorgetragen werden, dass Regulierung unbedeutend ist für die Qualität oder diese gar behindert. Deutlich wurde indes, dass überzeugende Antworten immer nur berufsspezifisch gefunden werden können.

In einem zweiten Panel (nach der Mittagspause) diskutierten Tiia Raudma von der estländischen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union, Arno Metzler, Vizepräsident der Gruppe III im Europäischen Wirtschafts- und Sozialrat, Werner Buelen von der European Federation of Building and Woodworkers (EFBWW), Jeroen Hardenbol vom europäischen Wirtschaftsverband Business Europe, Prof. Dr. Anne-Lise Sibony von der Katholischen Universität in Löwen und Martin Frohn, Abteilungsleiter bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Das Thema lautete „Moderne Regulierung von freiberuflichen Dienstleistungen“. Dabei brachte die Vertreterin der estländischen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union zum Ausdruck, dass ihr Land die Deregulierungsbemühungen der Kommission grundsätzlich unterstütze. Gerade kleine Länder könnten hiervon profitieren. Deregulierung helfe aber nicht nur, den grenzüberschreitenden Austausch zu verbessern, sondern befreie auch im innerstaatlichen Bereich benachteiligte Dienstleister von Hindernissen. Kritisch zum Dienstleistungspaket äußerte sich der Gewerkschaftsvertreter. Er kritisierte, dass die Veranstaltung von der EU-Kommission einseitig ausgerichtet worden sei. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass es nicht um „Bessere Regulierung“ gehe, wie die EU-Kommission immer wieder vortrage – dies sei ein Marketingbegriff - , sondern tatsächlich um Deregulierung. Er machte das an dem Beispiel deutlich, dass die EU-Kommission sich sehr nachdrücklich gegen die Schaffung besonderer nationaler Regelungen über Asbest-Bekämpfer ausgesprochen habe, obwohl hierfür ein unabdingbares Bedürfnis bestehe. Die EU-Kommission, so sein Vorwurf, wolle um jeden Preis deregulieren. Auch Arno Metzler äußerte sich kritisch zum Dienstleistungspaket. Zwar verfolge es vernünftige Ziele, die Wege dorthin bedürften aber der Verbesserung. Er forderte die Kommission auf, besser und aufmerksamer mit den Mitgliedstaaten und den interessierten Berufsorganisationen zu kommunizieren. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum äußerten sich auch DStV-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Axel Pestke und DStV-Europarechtsreferent Dr. Jan Trommer kritisch zu den Überlegungen der EU-Kommission. Dabei kritisierte Prof. Dr. Pestke den grundsätzlich verengten Deregulierungsansatz der EU-Kommission und bemängelte u.a. die von der EU-Kommission gewünschte Reform des Notifizierungsverfahrens, mit der sie das Recht verwirklicht sehen will, Mitgliedstaaten per Beschluss daran zu hindern, neue berufsrechtliche Regelungen zu erlassen, wenn sie diese für europarechtswidrig hält. Dies sei ein für ein „Melde“verfahren zu weitgehender Eingriff in die Rechte der Mitgliedstaaten. Interessiert an diesen Ausführungen zeigte sich Prof. Dr. Anne-Lise Sibony aus Belgien, die im Übrigen auch kritisierte, dass die bisherige Diskussion von der EU-Kommission zu sehr beschränkt auf wirtschaftliche, statt auf Verbraucher und Unternehmen sowie die Allgemeinheit schützende Aspekte geführt werde.

Die Stellvertretende Generaldirektorin der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU Irmfeld Schwimann, sprach das Schlusswort der Veranstaltung. Sie dankte allen Teilnehmern für ihre konstruktiven Beiträge und zeigte sich überzeugt, dass im weiteren Dialog gute Ergebnisse erzielt werden können.

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist einsehbar unter https://player.cdn.tv1.eu/player/macros/eu/smf_091117 (Stand 20.11.2017).