Quo vadis Berufsrecht?
Die Zukunft der EU-Dienstleistungsfreiheit
Der Initiativbericht des EU-Parlaments zur Zukunft des Dienstleistungsverkehrs stellt einen echten Härtetest für unser Berufsrechts dar. Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) mischt deshalb kräftig mit und wirbt bei den Abgeordneten für einen konsequenten Strategiewechsel.
Selbst in Brüssels Europaviertel hört man zuweilen noch die Meinung, dass ein nichtlegislativer Initiativbericht des EU-Parlaments kaum das Papier wert sei, auf dem er gedruckt wird. Schließlich, so das Argument, führe ein solcher Bericht nicht unmittelbar in die Gesetzgebung ein, sondern gebe lediglich die Position der Abgeordneten zu einem bestimmten Thema wieder. Diese Meinung ist schlicht falsch. Denn tatsächlich ist ein Initiativbericht gerade deswegen wichtig, weil er die Position der Europaabgeordneten widerspiegelt. Damit ist er zugleich Gradmesser für die anstehende Europapolitik und Maß für künftige Gesetzesvorschläge der EU-Kommission.
Erwartungsgemäß forderte der liberale Europaabgeordnete Morten Løkkegaard in seinem Berichtsentwurf vom 6.5.2020 (INI 2020/2020) „zur Zukunft des freien Dienstleistungsverkehrs“ erhebliche Deregulierungen ein. Bereits im Oktober 2019 hatte der DStV Kenntnis von dem geplanten Bericht und konnte mit seinem Präsidenten Harald Elster und dem für Europapolitik zuständigen Präsidiumsmitglied, Torsten Lüth, frühzeitig wesentliche Weichen stellen. Im Rahmen der Kooperation der „German Tax Advisers“ mit der Bundessteuerberaterkammer gelang es wichtige Abgeordnete im zuständigen Ausschuss für Binnenmarkt in Gesprächen von der Wichtig- und Richtigkeit unseres bestehenden regulierten Berufsrechts zu überzeugen.
Nach Veröffentlichung des Berichtsentwurfs haben wir „German Tax Advisers“ zudem in einer umfassenden Stellungnahme zahlreiche Vorschläge für einen echten Paradigmenwechsel bei der Regulierung von nationalem Berufsrecht eingebracht. Damit könnte anstelle der Forderung nach (noch) mehr Deregulierung eine ganzheitliche Strategie hin zu einer Angleichung des Berufsrechts in Europa auf einem hohen Niveau in Bezug auf Ausbildung, Zulassung, Vergütung, Compliance und Aufgaben treten. Denn zur Sicherung des Steuerberaterberufs, wie wir ihn in Deutschland kennen, wird es auf lange Sicht nicht ausreichen, sich darauf zu beschränken, das bestehende nationale System zu verteidigen. Ein System, das die EU-Kommission spätestens mit dem laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen das Steuerberatungsgesetz frontal in Angriff genommen hat. Vielmehr ist es wichtig, eine eigene Vision für eine Europäisierung eines regulierten Berufsrechts als gangbare Alternative zur Deregulierungsstrategie der EU-Kommission aufzuzeigen.
Erfreulicherweise können wir dabei auf die Unterstützung der allermeisten deutschen Europaabgeordneten im Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments bauen. Daher wollen wir uns an dieser Stelle – in alphabetischer Reihenfolge- ganz herzlich bei den Europaabgeordneten Anna Cavazzini (Grüne), Evelyne Gebhardt (SPD), Martin Schirdewan (Die Linke), Andreas Schwab (CDU) und Marion Walsmann (CDU) für die guten bis hervorragenden Änderungsanträge und damit verbunden für die Unterstützung unseres Berufsstandes bedanken.
In den kommenden Wochen wird es darauf ankommen gute Kompromisse zu schmieden, damit aus dem missratenen Entwurf ein vernünftiger Initiativbericht entsteht, der sich sowohl im Ausschuss als auch im Plenum des EU-Parlaments als mehrheitsfähig erweist. Das wird kein Selbstläufer, da gerade vor dem Hintergrund des Wiederaufbaus eine Mehrheit der Abgeordneten im Binnenmarktausschuss grundsätzlich eine Öffnung des europäischen Dienstleistungsmarktes begrüßen dürfte.